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Patagonien im Winter: Freeriden und die Kunst des Wartens

Text: Nadine Wallner // Protokoll: Sissi Pärsch // Fotos: Pato Diaz

Im Süden Patagoniens, wo die Län­­der selbst die Grenzziehung aufgegeben haben, ist die mächtige Bergwelt geprägt von spitzen Zacken, mächtigen Gra­nit­pfeilern, senkrecht aufschießenden Felsnadeln. Für Nadine Wallner, die Extrem­klet­terin, ein Traumziel. Aber für Nadine Wallner, die Freeriderin? In der stürmischen Weite Argentiniens lernt die Arlbergerin, sich der Natur noch einmal ganz anders unterzuordnen. Eine Mission mit viel Mate-Tee, einigen gelernten Lek­tio­nen, einem Comeback und dem hip-deep Happy Ending…

El Chaltén: Ein mythischer Ort und Basecamp für Abenteurer

El Chaltén ist ein mythischer Ort. Argentiniens Außenposten in den südlichen Anden besteht nur aus einem Häufchen bunter Häuser an der Grenze zu Chile. Es gibt Brauereien und Yoga-Studios, ve­ga­nes Essen und eine Kletterhalle. In der kühlen Jahreszeit, dem Südsommer, ist das Dorf ein Basecamp für Trekker und Alpinisten, in der eisigen Jah­res­zeit, dem Winter, eine Geisterstadt mit nur ein paar Ski-Bums. Vor allem aber ist es ein Ort des Wartens.

Die Straße nach El Chaltén wurde erst 2008 asphaltiert. Sie ist eine Sackgasse. Irgendwo hier in der Weite der mächtigen Bergmassive beginnt Chile. Wo genau, wissen selbst die Regierungen nicht. 1998 haben sie sich darauf geeinigt, dass sie die Regelung der Grenzziehung in die Zukunft vertagen…

El Chaltén ist ein mythischer Ort in den südlichen Anden Argentiniens, nahe der chilenischen Grenze. Bekannt für seine Brauereien, Yoga-Studios und Kletterhallen, verwandelt sich das Dorf im Winter in eine Geisterstadt mit nur wenigen Ski-Bums.
El Chaltén ist ein mythischer Ort in den südlichen Anden Argentiniens, nahe der chilenischen Grenze. Bekannt für seine Brauereien, Yoga-Studios und Kletterhallen, verwandelt sich das Dorf im Winter in eine Geisterstadt mit nur wenigen Ski-Bums.

Eine unwirkliche Landschaft und neue Abenteuer

Aber die territoriale Zugehörigkeit interessiert uns kein bisschen. Unsere Augen und Gedanken ruhen auf dieser unwirklichen Landschaft mit ihren mächtigen, bizarren Felsformationen, die senkrecht nach oben schießen und sich in die Wolken bohren. Es ist Oktober und die Begrüßung in El Chaltén fällt erwartungsgemäß stürmisch aus. Wir lernen die erste Lektion: nicht ohne Sonnenbrille vor die Tür gehen, sonst bläst es dir den Staub von den Straßen in die Augen.

Ich hatte die Südspitze Südamerikas nie im Sinn. Als Freeriderin habe ich einige europäische Sommer in Neuseeland verbracht. Der Norden Argentiniens war auch immer ein Traumziel, aber Freeriden im Süden von Patagonien? In meinem Kopf war die Welt der mächtigen Granitpfeiler eine Welt der Alpinisten, Kletterer, Bergsteiger. Klar reizen mich diese legendären Wände extrem, aber als Skifahrerin ist es für mich undenkbar, im Januar zum Klettern in den Süden zu fahren.

Dann erzählte mir eine Freundin, dass in dieser wilden, einsamen Landschaft durch­aus Backcountry-Lines warten – und die Vorstellung ließ mich nicht mehr los. Also doch einmal die Gegend um Fitz Roy und Cerro Torre erkunden, die Wände sehen und die weniger felsigen, eher vergletscherten Steep Faces ­befahren?!

Die Südspitze Südamerikas war nie das Ziel von Nadine Wallner, doch die Entdeckung von Backcountry-Lines im wilden Patagonien ließ sie nicht mehr los. Irgendwann reizte sie die Idee, die Gegend um Fitz Roy und Cerro Torre zu erkunden und die vergletscherten Steep Faces zu befahren.
Die Südspitze Südamerikas war nie das Ziel von Nadine Wallner, doch die Entdeckung von Backcountry-Lines im wilden Patagonien ließ sie nicht mehr los. Irgendwann reizte sie die Idee, die Gegend um Fitz Roy und Cerro Torre zu erkunden und die vergletscherten Steep Faces zu befahren.

Trip 1: 5 Wochen, 5 Skitage

Ankunft in El Chaltén: Erste Eindrücke und Herausforderungen

Und so sitze ich im Oktober 2022 in El Chaltén mit meinem Kollegen Niki Salençon, einem argentinischen Profi-Freerider – einem Local sozusagen, nur liegt seine Heimat Ba­riloche 1.400 Kilometer weiter nördlich –, und mit unserem Filmer Pato Diaz aus Chile bei unserer ersten Tasse Mate-Tee und checke das Wetter.

Es werden Hunderte Tassen Mate-Tee folgen in diesen fünf Wochen und wir werden gefühlt Tausende Male das Wetter checken. Und wir werden schnell Lektion zwei lernen: Nirgendwo gibt die Natur den Rhythmus so vor wie in El Chaltén. Wir müssen Taktgefühl entwickeln und uns fügen. Was das bedeutet? Warten!

In El Chaltén (Patagonien) gibr die Natur den Rhythmus vor und das bedeutet häufig: Warten!
In El Chaltén (Patagonien) gibr die Natur den Rhythmus vor und das bedeutet häufig: Warten!

Wetterkapriolen und die Lektion des Wartens

Die Locals erklären es folgendermaßen: Von Norden presst der Hochdruck, von Süden der Tiefdruck und El Chaltén liegt inmitten der Duell-Zone, was zu peitschen­den Winden und wechselhaftem Wetter führt. Der ganze Ort wartet darauf, dass der Hochdruck siegt und somit ein Wetterfenster von ein paar Tagen bringt.

Die Bergwelt im Süden Patagoniens ist mit nichts zu vergleichen, was ich bisher gesehen und erlebt habe, nicht mit Alaska und schon gar nicht mit den Alpen. Es ist eine andere Dimension. Nichts ist erschlossen durch Lifte. Kein Heli fliegt dich auf den Gipfel, kein Heli wird dich suchen, wenn du dich im White-out verirrst, und kein Heli wird dich retten, wenn dir im Backcountry was passiert.

Die Granitberge im Nationalpark Los Glaciares mögen nicht sehr hoch sein – der Fitz Roy kommt auf 3.406 Meter, der vier Kilometer Luftlinie entfernte Cerro Torre spitzt sich bis auf 3.128 Meter zu –, aber sie lassen dich ihre Mächtigkeit spüren und ihre unglaubliche Weite. Lektion drei: Du meinst, du bist ganz nah, und bist doch so weit entfernt.

El Chaltén (Patagonien) liegt in einer Duell-Zone zwischen Hochdruck aus dem Norden und Tiefdruck aus dem Süden, was zu peitschenden Winden und wechselhaftem Wetter führt. Die unerschlossene Bergwelt im Süden Patagoniens beeindruckt durch ihre Mächtigkeit und Weite, ohne Lifte oder Helikopterunterstützung.
El Chaltén (Patagonien) liegt in einer Duell-Zone zwischen Hochdruck aus dem Norden und Tiefdruck aus dem Süden, was zu peitschenden Winden und wechselhaftem Wetter führt. Die unerschlossene Bergwelt im Süden Patagoniens beeindruckt durch ihre Mächtigkeit und Weite, ohne Lifte oder Helikopterunterstützung.

Erkundungstouren und unberechenbare Bedingungen

Eine Woche lang sitzen wir herum, bouldern und drehen Däumchen, dazwischen Mate und Wetter-Check, als sich die erste Lücke ankündigt und wir uns endlich aufmachen können zur einer „kleinen Tages-Mission“ am Cerro Eléctrico: 25 Kilometer, 2.200 Höhenmeter, eine steile Rinne bei fiesen, eisigen Bedingungen. Ein Versuch… Es ist mühsam und die Belohnung fällt ­bescheiden aus. Es ist zu warm, Pato ist sogar oben ohne unterwegs. Aber die Landschaft, so heroisch und Re­spekt­ ein­flößend, packt dich und lässt dich nicht mehr los. Die Kulisse entschuldigt auch den langen Gang zurück ins Dorf.

Nach unserer ersten Erkundungstour ist der Drang umso größer, wieder loszuziehen. Aber wenn wir Lektion zwei noch nicht gelernt haben, so tun wir es jetzt. Ausharren, Tee trinken, Wetter checken – und von den Locals den Rhythmus und den Takt aufnehmen. Sie haben das Warten so gechillt perfektioniert, haben immer gute Laune – und sind top im Bouldern und Pingpong.

Dann kommen tatsächlich noch drei Tage, die uns die Berge rund um die Laguna Milodón nördlich von El Chaltén erkunden lassen. Kilometer- und stundenlang laufen wir vom Dorf über eine weite Ebene, durch Kiefernwälder, durch Gestrüpp, Schro­fen und Felsgelände, bis wir unsere Skier endlich anschnallen können.

Nach der ersten Erkundungstour wächst der Drang, wieder loszuziehen, doch Geduld ist gefragt. Die Locals lehren das entspannte Warten, Tee trinken und Wetter checken. Drei Tage erlauben schließlich die Erkundung der Berge rund um die Laguna Milodón nördlich von El Chaltén.
Nach der ersten Erkundungstour wächst der Drang, wieder loszuziehen, doch Geduld ist gefragt. Die Locals lehren das entspannte Warten, Tee trinken und Wetter checken. Drei Tage erlauben schließlich die Erkundung der Berge rund um die Laguna Milodón nördlich von El Chaltén.

Unberechenbares Wetter und eine offene Rechnung mit El Chaltén

Allerdings zwingt uns am ersten Tag ein White-out auf dem für uns unbekannten Gletscher dazu, das Vorhaben auf halben Wege abbrechen. Tag zwei nutzen wir, um das Terrain zu checken, haben coole Abfahrten, aber die steilen Hänge sind mit La­winenanrissen gekennzeichnet. An Tag drei müssen wir bei 70 km/h Wind alle Vorhaben streichen. Die Wettervorhersage ist unbefriedigend ungenau und zwingt uns nach El Chaltén zurück. Fünf Wochen, fünf Skitage: Ich kehre mit vielen Erinnerungen und Eindrücken zurück an den Arlberg, aber auch mit ein wenig Frust.

Am ersten Tag zwingt ein White-out zur Umkehr. Tag zwei bringt coole Abfahrten, doch Lawinenanrisse sind sichtbar. Bei 70 km/h Wind und ungenauer Wettervorhersage wird an Tag drei alles gestrichen. Nach fünf Wochen und nur fünf Skitagen bleiben viele Erinnerungen und etwas Frust.
Am ersten Tag zwingt ein White-out zur Umkehr. Tag zwei bringt coole Abfahrten, doch Lawinenanrisse sind sichtbar. Bei 70 km/h Wind und ungenauer Wettervorhersage wird an Tag drei alles gestrichen.

Zu Hause beschäftigt mich der Trip weiter. Ich habe das Freeride-Potenzial gesehen. Aber wie soll das gehen, wenn der Schnee stets vom Winde verweht oder hart gepresst ist? Die Antwort, Lektion 4, bekomme ich dort, wo ich es kaum erwartet hätte: vor der Haustür.

„Im Oktober kann dir das gut passieren, da ist der Wind heftig und die Saison ja auch fast zu Ende. Aber im August fahren wir Powder“, meint Max Odell bei einem gemeinsamen Pow-Tag am Arlberg zu mir.

Er muss es wissen. Max ist der Ski-Pionier von El Chaltén, halb Amerikaner, halb Argentinier, Vollblut-Freerider. 1997 hat er sich in der Einsamkeit am Fuße des Fitz Roy niedergelassen und allein das Terrain erkundet und erstbefahren.

Er ist eine Legen­de. In El Chaltén war ich mit seinen Söhnen bouldern, und als Max im Winter in den Alpen unterwegs ist, starten wir zusammen in den Schnee. August also… Ich spüre, dass ich noch eine Rechnung offen habe mit diesem Ort. Mission not yet accomplished. Also rufe ich meine Free­ride-­Kollegin Silvia Moser an – sie ist sofort dabei.

Nach fünf Wochen und nur fünf Skitagen bleiben viele Erinnerungen und etwas Frust.
Nach fünf Wochen und nur fünf Skitagen blieben nach dem ersten Trip von Nadine Wallner nach Patagonien viele Erinnerungen und etwas Frust.

Trip 2: 10 Tage, 5 Skitage

Ein eisiger August in El Chaltén

Es könnte anders kaum sein in diesem August. Der Schnee reicht fast bis ins Tal – El Chaltén liegt auf 400 Metern – und es ist eisig kalt. Plus: Der Wind zeigt sich ruhiger. Und nicht nur er: Der Ort ist wie ausge­storben.

Während im Oktober schon die ersten Trekker und Bergsteiger da waren, sind jetzt im August die Straßen leer und die Shops zu. Aber umso mehr Leben steckt in der Ski-Bum-Szene von gut zehn Leuten.

Abenteuer am Cerro Solo: Aufbruch in den tiefen Powder

Und dann löst Max sein Versprechen ein: Er führt uns in hüfttiefen, ungebundenen Powder. Nach ein paar Tages-Runs im feinsten Pulverschnee brechen wir auf zum Cerro Solo, einem von Max solo erstbefahrenen Berg und entsprechend getauft. Im Vergleich zum Marsch im Oktober lässt sich die flache Weite vom Dorf ins Gebirge mit Skiern easy machen. Der Rucksack wiegt dennoch schwer: Zelt, Biwak, Schlafsack, Seil, Safe­ty Gear, Essen, Kleidung, normale Schuhe, Wechselwäsche, Fernglas, Stirnlampe, Mate-Tee…

Max führt Nadine in hüfttiefen Powder. Nach ein paar Runs im Pulverschnee geht es zum Cerro Solo. Der Weg ins Gebirge ist mit Skiern einfacher, aber die schweren Rucksäcke beladen mit Zelt, Biwak, und Ausrüstung machen es anstrengend.
Max führt Nadine in hüfttiefen Powder. Nach ein paar Runs im Pulverschnee geht es zum Cerro Solo. Der Weg ins Gebirge ist mit Skiern einfacher, aber die schweren Rucksäcke beladen mit Zelt, Biwak, und Ausrüstung machen es anstrengend.

Herausforderungen im Basecamp: Kälte und Teamgeist

Der Fitz Roy begleitet uns von Anfang an, dann tauchen Cerro Torre und schließlich Cerro Solo auf. Eine Lagune ist die erste He­rausforderung, aber sie ist ausreichend für eine Überquerung gefroren. Doch um die kleinen Eisberge wird das Eis dünner. Wir schaffen es nicht durch das Labyrinth zum oberen Camp und bleiben im unteren. Die Temperaturen sind tief (-20 °C), die Stimmung ist hoch.

Verrückt: So ex­trem un­gemütlich es auch sein mag, mit den richtigen Leuten passt es trotzdem. Auch der Schlaf zu dritt im Zweimannzelt. Wenden? Nicht möglich. Klogang? Vergiss es.

Der nächste Tag beginnt mit Mate-Tee, Porridge und aufgrund Platzmangels im Zelt gefrorenen Skischuhen. Wir steigen in der Dämmerung auf und nach einer Stunde trifft uns der Sonnenaufgang wie ein En­gels­­chor. Der Schnee gibt gutes Feedback. Für mich als Nerd ist es superspannend, wie sich der Schnee in dieser Land­schaft und bei diesen dynamischen Wet­terverhältnissen gestaltet.

Und dann stehen wir auf dem Gipfel. Es ist es saukalt und wir sind high. Der Gip­fel­hang – es gibt nicht viel zu sagen, wenn man so jauchzt.

Der Tag beginnt mit Mate-Tee, Porridge sowie gefrorenen Skischuhen und verläuft über einen atemberaubenden Sonnenaufgang bis zum Gipfel, wo es eiskalt, aber die Freude dafür riesig ist.
Der Tag beginnt mit Mate-Tee, Porridge sowie gefrorenen Skischuhen und verläuft über einen atemberaubenden Sonnenaufgang bis zum Gipfel, wo es eiskalt, aber die Freude dafür riesig ist.

Mit Cerro Torre und Fitz Roy im Rücken geht es zurück zum Basecamp. Den Gipfel am nächsten Tag wird das Wetter nicht mehr zulassen. Wir bleiben trotzdem noch eine Nacht. Wir haben noch Essen und Mate-Tee. Also wieder schön eng zusammenrutschen…

Freeride-Erlebnisse in Bariloche: Von El Chaltén zum Refugio Frey

Versöhnlicher kann ein Trip kaum laufen. Jegliche Aufstiegsmühen sind belohnt. Als nach zehn Tagen eine Schlechtwetterfront aufzieht, fahren wir 18 Stunden nonstop im Auto nach Bariloche in den Norden. Unser Ziel ist das Refugio Frey, ein legen­dä­res Klettergebiet und im Winter ein top Freeride-Spot mit Rinnen zwischen den Granittürmchen, die sich mit bestem Schnee füllen. Noch bei schlechtem Wetter und Sturm steigen wir zur Hütte auf. Am nächsten Tag: Bluebird und Fresh Powder. An Tag zwei verlegen wir uns bei aufziehendem Wind in die geschützteren Rinnen und am Tag darauf fahren wir zum Sonnenaufgang noch ein paar „Left over“-Lines.

Ich kehre mit vielen Eindrücken und Erlebnissen zurück an den Arlberg – und mit einem breiten Lächeln. Mein Freeride-Herz ist happy. Die Mission over-accomplished. El Chaltén, du wirst mich definitiv wiedersehen. Ich kenne deinen Takt. ¡Muchas gracias, Patagonia y skiing, hasta luego!

Nach 10 Tagen Schlechtwetter geht es 18 Stunden nach Bariloche., wo es noch einmal Bluebird, Fresh Powder und geschützte Rinnen gibt, bevor es dann zurück an den Arlberg geht.
Nach 10 Tagen Schlechtwetter geht es 18 Stunden nach Bariloche., wo es noch einmal Bluebird, Fresh Powder und geschützte Rinnen gibt, bevor es dann zurück an den Arlberg geht.
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