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Chronoception – Zeitlos im Kakschaal-Too-Massiv

Thomas Delfino, Léa Klaue und Aurélien Lardy begeben sich auf die Spuren von Nomadenvölkern entlang der alten Seidenstraße, um einen der abgelegensten und unerforschtesten Orte des asiatischen Kontinents zu erreichen: das Kakschaal-Too-Massiv. Die ganze Story!

Trailer: CHRONOCEPTION – A timeless ski & snowboard adventure in Kyrgyzstan 

Einleitung: Die Magie des Kakschaal-Too-Massivs

Diese Story erschien ursprünglich im PRIME Skiing Printmagazin #39. Wenn ihr die großartige Bilder in gedruckter Form genießen wollt, könnt ihr die Ausgabe hier bestellen.

Das Kakschaal-Too-Massiv liegt im Osten Kirgistans in Zentralasien an der Grenze zu China und hier fühlt einfach alles ein bisschen größer an.
Das Kakschaal-Too-Massiv liegt im Osten Kirgistans in Zentralasien an der Grenze zu China und hier fühlt einfach alles ein bisschen größer an.

Die Luft ist klar auf dem Gipfel. Viertausend­undetwas Meter, Zahlen sind jetzt kom­plett egal. Vor uns erstreckt sich ein unendlicher Horizont mit riesigen Gletschern, Steppe, einigen Hügeln und noch mehr Steppe: grau­weiße Töne, Schnee und Gletscher vor sich schlängelnden Flüssen und unendlichen hellbraunen Feldern aus trockenem Gras.

Hier ist alles groß, größer… Irgendwie fühlt sich alles viel größer an als der Rest der Welt. Oder sind wir uns auf einmal unserer eigenen Kleinheit be­wusst? Das ist eine Frage der Perspektive.

Wir, klitzekleine Alpinisten, Skifahrer und Snowboarder, teilen uns für einige Wochen diese tausend Kilometer weite Gegend mit einem Dutzend steinbockartigen Argali-Schafen und einer Handvoll Wölfen. Unten am Ende des Gletschers sehen wir die paar bunten Punkte, die unser High­camp sind, und etwa 20 Kilometer weiter liegt unser Basecamp. Das können wir von hier aus sowieso nicht sehen.

In dem Gebiet finden sich viele Faces, die bisher noch nie von einem Skifahrer oder Snowboarder gefahren wurden.
In dem Gebiet finden sich viele Faces, die bisher noch nie von einem Skifahrer oder Snowboarder gefahren wurden.

Wir stehen auf dem Grat direkt beim Gipfel eines Bergs, der auf den Karten und in Alpinistenberichten aus irgendeinem Grund Pony heißt. Die Nordwand ist steil und der Schnee, der auf dem hängenden Gletscher klebt, perfekt. Noch niemand hat dieses Gelände mit Skiern oder Snowboard befahren.

Die Zeit steht still. Wir sind einige Stunden lang diese Wand hinaufgeklettert und nun werden wir innerhalb von ein paar Minuten, vielleicht sogar nur Sekunden schöne, schnelle Kurven auf diese Flanke zeichnen. Die Zeit steht still, im Moment spielt sie keine Rolle mehr. Ich bin konzentriert, aber auch von diesem seltsamen Glück erfüllt, ja, sogar berauscht von Adrenalin und Dankbarkeit für diese extreme und unberechenbare Umwelt.

Vorbereitung für die Expedition: Logistik und Herausforderungen

Das im Osten Kirgistans gelegene Kakschaal-Too-Massiv im Tienschan, der riesigen Bergkette in Zentralasien an der Grenze zu China: Ich hatte nur wenig von dieser Gegend gehört. Die meisten Ski- und Snowboard-Reisen innerhalb Kirgistans, von denen man hört oder liest, sind eher Winter- und Powder-Trips, die relativ nah an den Städten und im Hochwinter unternommen werden.

Die Grundlage für jede gewagte Expedition ist eine gute Vorbereitung, sonst gibt es im Zelt irgendwann nichts leckeres oder noch schlimmer gar nicht mehr zu essen.
Die Grundlage für jede gewagte Expedition ist eine gute Vorbereitung, sonst gibt es im Zelt irgendwann nichts leckeres oder noch schlimmer gar nicht mehr zu essen.

Wir sind im Mai hierhergereist, also im Frühling angekommen – zumindest glauben wir das bei unserer Ankunft in der Hauptstadt Bischkek. Dort schlendern wir in kurzen Hosen und T-Shirts über die Märkte und besorgen Proviant für unsere Expedition.

Eine der ältesten Expeditionsagenturen in Kirgistan organisiert für uns alle logistischen Angelegenheiten. Vladimir Komissarov, Bergsteigerpionier und Inhaber von ITMC Travel, begrüßt uns in seinem Büro in Bischkek mit starkem türkischen Kaffee und einem verschmitzten Lächeln, das hinter seinem grauen Schnauzbart hervorblitzt.

„So ein Skifahren, wie ihr es machen wollt, hat noch niemand in dieser Region gemacht. Aber das Problem ist sicher nicht das Skifahren, sondern dorthin zu gelangen.“

Es ist schon eine Herausforderung Hänge als Erstes zu befahren, dorthin zu kommen ist noch einmal eine ganz andere Schwierigkeit.
Es ist schon eine Herausforderung Hänge als Erstes zu befahren, dorthin zu kommen ist noch einmal eine ganz andere Schwierigkeit.

Er organisiert für uns einen Expeditions-Lastwagen mit sechs Rädern, einen russischen Kamaz. Dieser soll uns samt Basecamp und allem Equipment bis zu einem bestimmten Punkt fahren, den wir auf der Karte ausgesucht haben. Google Earth zeigt uns eine flache und trockene Steppe und selbst eine 4×4-Piste scheint die Gegend zu durchqueren – Vladimirs Aussagen bereiten uns wenig Sorgen.

Einige Tage später erfahren wir am eigenen Leib, dass diese Gegend im „Frühling“ nicht befahrbar ist. Dieser schnelle, aber komplizierte Übergang zwischen dem schneereichen Winter und dem trockenen Sommer fühlt sich an wie eine Art hochalpiner Monsun: Je weiter wir uns von den Städten und Dörfern entfernen, über trockene Pässe und durch kleine Wälder tuckern, desto unsicherer wird das Wetter.

Die Reise beginnt in Naryn

Nicht alle Wege auf diesem Trip wurden mit motorisierten Vehikeln gemeistert.
Nicht alle Wege auf diesem Trip wurden mit motorisierten Vehikeln gemeistert.

Wir verbringen noch eine Nacht in einem Gasthaus in der Stadt Naryn, bevor es richtig losgeht Richtung Osten. Als wir die letzten Siedlungen hinter uns lassen, verschwinden Uhrzeiten und unsere Gewohnheiten.

Wir sind in einen Zeitstrudel geraten – weit entfernt vom Alltag, von der Sicherheit unserer viel besiedelten Alpen, von eingeübten Tagesabläufen und Mitmenschen. Irgendwann verlassen wir auch die letzten Landstraßen und fahren über Hügel und an Seen vorbei durch die unendliche Steppe. Die Gegend wird immer sumpfiger und im Truck wird es immer wackliger.

Der Kampf im Schlamm

Ein paar Mal müssen wir aussteigen und unser russischer Fahrer Andrei, immer mit strengem Blick und einer Zigarette im Mundwinkel, gibt uns Anweisungen, wo wir schieben oder Gewicht verlagern müssen. Als der Weg noch morastiger wird, kommt selbst der Kamaz nicht mehr weiter und bleibt endgültig in der Pampa stecken.

„Was machen wir jetzt? Die Berge sind noch zig Kilometer entfernt. Sollen wir laufen?“

"Sollen wir jetzt laufen?" Wenn selbst der Kamaz nicht mehr weiterkommt, ist guter Rat teuer.
“Sollen wir jetzt laufen?” Wenn selbst der Kamaz nicht mehr weiterkommt, ist guter Rat teuer.

Thomas Delfino, französischer Snowboarder und bekannt für seine wilden Snowboard-Ideen in ziemlich abgelegenen Gegenden, hatte bestimmte Berge und deren Nordwände auf Google Earth studiert und sich für Kirgistan interessiert.

Mit Unterstützung seines Sponsors Picture Organic Clothing hat er ein kleines Team dazu bewegen können, ihm durch diese Wildnis und diesen Schlamm zu folgen: sieben Franzosen und mich, eine französischsprachige Schweizerin – und keiner von uns kannte sich vorher gut.

Noch sind die Berge am Horizont nur leicht angezuckert, aber das sollte sich noch sehr schnell ändern.
Noch sind die Berge am Horizont nur leicht angezuckert, aber das sollte sich noch sehr schnell ändern.

Das änderte sich spätestens, als wir alle gemeinsam versuchten, den Lastwagen aus dem Schlamm zu ziehen. Die drei Rider der Crew sind Thomas, mit Aurélien Lardy ein junger verrückter Steep-Ski-Fahrer aus Chamonix, der in jedem Moment die absurdesten Witze parat hat, und ich, eine Snowboarderin aus dem Wallis.

Dazu kom­men Fotograf Jérémy Bernard, Kameramann Pierre Frechou und Regisseur Guillaume Broust. Alle haben bereits Expeditionserfahrungen gesammelt, aber dennoch erkenne ich in den Augen einiger von ihnen Unsicherheit und Zweifel, wenn wir die Entfernungen auf der Karte betrachten.

Nicht alle Beteiligten an diesem Trip haben die gleiche Erfahrung mit Expeditionen, aber das gleiche Gefühl während der ersten Tage in Kirgistan.
Nicht alle Beteiligten an diesem Trip hatten die gleiche Erfahrung mit Expeditionen, aber das gleiche Gefühl während der ersten Tage in Kirgistan.

Zweifel und Unsicherheiten

Für mich ist es die erste wirklich große und abgelegene Skiexpedition, daher fühlt sich alles recht unsicher an. Aber ich weiß auch, dass die Ungewissheit zu solchen Unternehmungen gehört und sogar einen besonderen Reiz ausmacht. Warum sonst würden wir tagelang durch den Schlamm wandern wollen?

Thomas schickte uns vor der Abreise Bilder und Karten der potenziellen Ziele. Ich hatte sie studiert und mir vorgestellt, wonach ich überhaupt suchen sollte: steile und schöne Hänge in einer Landschaft, die wie von einem anderen Planeten aussieht. Aber definitiv nicht endlose, flache und sumpfige Steppen.

Von solchen Lines träumt die Crew, während sie sich am Anfang des Trips durch die flache und vor allem matschige Landschaft kämpft.
Von solchen Lines träumt die Crew, während sie sich am Anfang des Trips durch die flache und vor allem matschige Landschaft kämpft.

Zu der lustigen Truppe gehören auch zwei erfahrene Bergführer: Hélias Millerioux, Piolet-d’Or-Gewinner und bekannter Alpinist, sowie Jean-Yves Fredriksen, besser bekannt als „Blutch“, der schon so manches skurriles Abenteuer im Hochgebirge erlebt hat und viele unglaubliche Geschichten zu erzählen weiß.

Noch kann sich die Crew auf ihr Expeditionsfahrzeug verlassen und "gemütlich" mit ihm durch die karge aber gleichzeitig wunderschöne Landschaft reisen.
Noch kann sich die Crew auf ihr Expeditionsfahrzeug verlassen und “gemütlich” mit ihm durch die karge aber gleichzeitig wunderschöne Landschaft reisen.

Die beiden sorgen für Sicherheit in der Gruppe und haben immer pragmatische Ideen, um mit den ständig unerwarteten Ereignissen zurechtzukommen. Aber auch sie kratzen sich wie alle anderen am Kopf, als unser Lastwagen im Matsch festsitzt. „Wann erreichen wir den Schnee?“, ist auf allen sich runzelnden Stirnen zu lesen. Die Zweifel werden nicht ausgesprochen, aber sie sind spürbar.

„Können wir hier überhaupt einen Ski-und-Snowboard-Film drehen?“

Die unerwarteten Hindernisse

Mit Pickel und Schaufel versuchen wir noch vergeblich, den Lastwagen zu befreien. Das Wetter spielt nicht mit. Wir erleben am gleichen Tag alles: Regenschauer, Hagel, Schnee, Sonne. Und am nächsten Tag fängt dieser Turnus wieder von vorne an.

Widerstand zwecklos: Dei diesem Schlamm kommt auch der Expeditions-Lastwagen Kamaz mit seinen sechs Rädern nicht mehr weiter und auch das Schaufeln hilft irgendwann nicht mehr.
Widerstand zwecklos: Dei diesem Schlamm kommt auch der Expeditions-Lastwagen Kamaz mit seinen sechs Rädern nicht mehr weiter und auch das Schaufeln hilft irgendwann nicht mehr.

Das Gelände ist ständig von Regen und Schnee durchnässt und trocknet an den wenigen Sonnentagen nie richtig aus. Im Moment können wir nur einige Gebirgskonturen in der Ferne erah­nen und wollen nicht in dieser Schlammwüste ungefähr 60 Kilometer von den ersten Bergen entfernt stecken bleiben.

Zu unserem Riesenglück liegt ein Militärcamp nicht allzu weit entfernt. Dort ver­handeln wir mit unseren nicht existierenden Kirgisisch- und Russischkenntnissen und können einige Pferde mieten. Die jungen Soldaten helfen uns, die Tiere mit dem Basecamp-Material zu be­laden, und kommen auch mit – zu Recht trauen sie uns das Reiten in dieser Gegend nicht zu.

Glück im Unglück: Mit gemieteten Pferden aus einem Militärcamp kann es weitergehen.
Glück im Unglück: Mit gemieteten Pferden aus einem Militärcamp kann es weitergehen.

Zwei von uns reiten mit den Pferden vo­raus, der Rest läuft hinterher – zwei Tage lang, etwa 40 Kilometer.

Ich erwache in einem kleinen Zelt, draußen ist es schon hell. 7:45 Uhr – nicht zu früh. Gestern waren wir ewig unterwegs. Ich habe schlecht geschlafen, mein Rücken hat sich an die Schlafmatte noch nicht gewöhnt.

Noch ist die Landschaft vor allem von braunem Geröll geprägt, bis der nächste Morgen kommt.
Noch ist die Landschaft vor allem von braunem Geröll geprägt, bis der nächste Morgen kommt.

Neben mir döst Jérémy – oder vielleicht tut er nur so. Es scheint mir, dass es während der Nacht geregnet oder geschneit hat. Ich mache das Zelt auf: Alles ist weiß und es blendet mich. Mindestens 20 Zentimeter strahlendes Weiß liegen auf dem Boden.

Die Steine und der trockene Rasen sind nirgends mehr zu sehen und der Fluss, den wir gestern am Abend mühsam überquert haben, fließt leise unter der Schneedecke. Wir sind wieder auf einem anderen Planeten gelandet.

Dieser Fluss, der nicht weit entfernt in ein Delta mündet, war Grund für einen kleinen Konflikt gestern: Jérémy und Hélias waren sich nicht einig, ob wir den Fluss überqueren sollten, weil dieser unten an der Mündung noch mit viel Eis bedeckt war. Hätte man bei der Furt das Gleich­gewicht verloren, wäre man un­weigerlich von der Strömung zu ein paar Eis­plat­ten mitgerissen worden, wo ein Ertrin­ken nicht vermeidbar gewesen wäre.

Nach einigen Diskussionen, ob ein Risiko ein­gegangen werden sollte, kamen wie ein Glücksfall die Pferde und die kirgisischen Soldaten aus der Ferne auf uns zu. Sie hatten vor einigen Stunden das Basecamp mit Thomas und „Blutch“ erreicht, das Gepäck hinterlassen und sich auf den Rückweg gemacht. Natürlich halfen uns die jungen lächelnden Ritter über den wilden Fluss.

Mein Pferdepilot machte Zeichen mit den Fingern, ich sollte nicht runter ins Wasser schauen, da ich sonst Angst bekommen und fallen würde. „Da, da“, lachte ich in gebrochenem Russisch ­zurück.

Die Entdeckung der schneebedeckten Berge

Im Basecamp angekommen sehen wir endlich die schneebedeckten Berge. Es liegt noch ein Fluss zwischen uns und den ersten Tälern und Gletschern; etwa 15 bis 20 Kilometer entfernt ragen sehr steile weiße Wände aus der flachen Steppe. Die Form des Gebiets mit diesen Bergen ist surreal: so groß, so flach und auf einmal so steil. Mit Ferngläsern können wir die Konturen von Bergen und mögliche Wände erkennen, die wir gerne befahren möchten.

Endlich: Am Basecamp angekommen sind die riesigen mit Schnee bedeckten Berge nicht mehr all zuweit entfernt.
Endlich: Am Basecamp angekommen sind die riesigen mit Schnee bedeckten Berge nicht mehr all zuweit entfernt.

Aurel, Thomas und ich sind ziemlich begeistert von dem möglichen Gelände. „Wir müssen halt nur noch da runter zum Fluss, den überqueren, und dann sind wir schon bei dem Gletscher!“ Das haben wir uns wieder ein bisschen zu einfach vorgestellt…

Planung des Zugangs zu den Bergen

In den folgenden Tagen muss unser Zugang zu den Bergen gut geplant werden. Wir nehmen schnell wahr, dass dieser Fluss, der uns von den Bergen trennt, nur am Morgen überquerbar ist. Er ist zu breit und am Nachmittag, wenn viel Schnee und Eis von den Gletschern schmelzen, ist die Strömung zu stark, um durch das Was­ser zu waten. Circa acht Kilometer nach dem Fluss bauen wir ein Materiallager auf.

Wir bringen die High­camp-Zelte, Pickel und Steigeisen, Gas und Proviant und laufen zurück zum Basislager. Im Basecamp sitzt Davran, unser Koch, ein lustiger und stets lächelnder Kirgise, der von der Agentur für uns engagiert wur­de.

Nur noch einmal über den Fluß da drüben und dann sind wir gleich oben an der Line - wenn es doch nur so einfach wäre, wie man manchmal vorher denkt.
Nur noch einmal über den Fluß da drüben und dann sind wir gleich oben an der Line – wenn es doch nur so einfach wäre, wie man manchmal vorher denkt.

Er kümmert sich um das große Hauptzelt, in dem er uns leckere Mahlzeiten kocht, ein richtiger Luxus. Davran kennt nur einige englische Wörter und wir haben kein Netz, um einen automatischen Über­setzer zur Hilfe zu nehmen. Improvisierte Zeichensprache und viel Lachen reichen aber aus.

Davrans Augen verschwinden hinter seinem riesigen Lachen, wenn er uns beim Packen zuschaut – er findet uns mit unseren Skiern und Snowboards sowieso lustig – oder einfach verrückt.

Noch mehr lacht er, wenn er uns komplett erschöpft von unseren Ausflügen zurückkommen sieht.

Im Basislager planen wir unsere Pushs in die Berge und mit den ständig wechselnden Wetterprognosen fühlt sich das Ganze wie ein Glücksspiel an. Zuerst zum Materiallager und dann etwa fünf bis sieben Kilometer hinauf über Moränen, Geröll und Gletscher zum jeweiligen High­camp. Diese Expeditionen dauern ganze Tage.

Ich laufe anfangs oft zusammen mit „Blutch“ oder Aurel, aber irgendwann verlieren wir uns und ich laufe stundenlang allein. Dabei versuche ich, die bunten Punkte weit vor mir oder hinter mir, die meine Kameraden sind, nicht aus den ­Augen zu verlieren. Ich singe peinliche französische Volkslieder vor mich hin, um die Zeit zu vertreiben.

Die Expeditionen vom Basecamp aus dauern oft mehrere Tage und nicht alle Mitglieder der Crew können bei den Aufstiegen das gleiche Tempo laufen.
Die Expeditionen vom Basecamp aus dauern oft mehrere Tage und nicht alle Mitglieder der Crew können bei den Aufstiegen das gleiche Tempo laufen.

Der schwere Rucksack, die Füße ständig im Schnee oder im Schlamm bis zum Knie einsinkend, die unendliche Weite rundherum – irgendwie werden Zeit und Geist diffus.

Was mache ich hier eigentlich gerade? Wohin geht’s? Was bin ich?

Die Denkflüsse verschwimmen, ich vermische Dinge in meinem Kopf, rege mich über alte Erinnerungen auf, lache über andere und schweife gedanklich wieder zurück zu diesem Jetzt, zu meinem schweren Rucksack mit all dem Zeug, meinen Füßen im Schlamm, den brennenden Blasen an meinen Fersen und den paar Schneeflocken, die der Wind mir in die Augen bläst. Wie absurd ist das alles überhaupt? Was soll das alles sein?

Beim ersten Push bauen wir ein Highcamp bei einem Gletscher namens Ak-Baital auf. Ein monströses Steep-Skiing-­Face ragt am Ende des Gletschers in den Himmel mit Spalten, Schnee und sehr steil. Wie der Schnee darin ist, wissen wir nicht.

Am nächsten Morgen starten wir um drei Uhr morgens, weil wir den gesamten Gletscher überqueren müssen. Auf halbem Weg auf dem flachen Gletscher merken wir, dass die Wetterprognose gar nicht stimmt. Es ist windig und dicke Wolken ziehen heran. Die Sonne hat keine Zeit aufzugehen, schon verdecken tiefe Wolken alle Berge um uns herum. Es beginnt, leicht zu schneien.

„Was machen wir?“

„Blutch“, der Einzige in der Gruppe, der ständig ein Lächeln aufrechtzuerhalten vermag, schlägt einen Plan B vor: eine „Familienskitour“ auf einem kleinen Berg neben uns.

Ob dieses Bild von der "Familientour" stammt, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber die Aussicht und die Line sehen verdammt geil aus.
Ob dieses Bild von der “Familientour” stammt, können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber die Aussicht und die Line sehen verdammt geil aus.

Er zeigt auf einen kleinen verschneiten Hang, der nicht sehr hoch ist und nicht ganz im Nebel verschwindet. „Und die Filmer fahren auch.“ Er überzeugt den widerstrebenden Fotografen, seinen schweren Rucksack unten zu lassen, und hoch gehen wir. Oben angekommen sehen wir die Umgebung trotz Wolken und Nebel besser.

Hinter den paar Bergen und Hängen, die wir für die nächsten Tage ins Visier genommen haben, tauchen weitere, neue Möglichkeiten auf. Unendlich viele Möglichkeiten, um ästhetische, komplexe und steile Linien zu fahren… „Hey, da ist ja China!“, meint Aurel. Und das ist kein Witz, die Grenze ist irgendwo auf diesen Gipfeln. Wir sind aufgeregt, aber trotzdem von unseren Zielen noch weit entfernt.

Eine schöne Line pro Expedition muss schon sein.
Eine schöne Line pro Expedition muss schon sein.

Während dieser Expedition wäre es schon super, mal mindestens eine schöne Line zu schaffen… Wir fahren den kleinen Hang hinunter und „Blutch“ freut sich zu sehen, dass alle mindestens ein bisschen Spaß haben, endlich einige Turns zu ziehen. Später erklärt er, dass solche Tage in der Gruppe notwendig sind.

„Jetzt sind wir enger zusammengeschweißt, ein richtiges Team. Jetzt kann es richtig losgehen!“, freut er sich.

Aber er schafft es doch nicht, uns mit seinem unwiderstehlichen Lachen anzustecken.

Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sind schlecht. Nach einer Nacht im Highcamp müssen wir zusammenpacken und den ganzen Tag zurück zum Materiallager und dann zum Basecamp und zu Davran wandern – durch Wind, Nebel und Schnee.

An unseren Gesichtern sieht man nun, dass der Aufwand für diese kleine Bergtour definitiv etwas übertrieben war. Aber wie sagt man so schön auf Französisch? „Wir sind nicht bis hierher gekommen, um Nüsse zu sortieren!“

Als die Wetterprognosen etwas Hoffnung für die Gruppe bringen, fängt es wieder von vorne an: versuchen, die Sachen zu trocknen, umpacken, essen, genug schlafen, Rucksäcke packen, losmarschieren, fluchen, Fluss durchqueren. Und das zusammen mit den nun bekannten Elementen: Kälte, Wärme, Schnee, Regen, Sonne, vor sich hinsingen und wie immer durch viel Matsch waten.

Die Gruppe kennt sich mittlerweile gut. Im zweiten Highcamp auf dem Dzhirnagaktu-­Gletscher, wenn die Sonne untergeht und alle in ihre kleinen Highcamp-Zelte und Schlafsäcke eingewickelt sind, glaube ich, den Soundtrack einer französischen Ko­mö­die zu hören. Es wird laut geredet und debattiert.

Ob es an der Höhenluft liegt!? In diesen Zelten im Highcamp auf dem Dzhirnagaktu-­Gletscher kann man angeblich die Töne eine französischen Komödie hören.
Ob es an der Höhenluft liegt!? In diesen Zelten im Highcamp auf dem Dzhirnagaktu-­Gletscher kann man angeblich die Töne eine französischen Komödie hören.

Der eine flucht über den fran­zö­sischen Präsidenten und seine Politik, während ein anderer unbedingt erotische Geschichten aus einem Büchlein, das er mit­genommen hat, laut vorlesen will. Jedenfalls wird es hier im Kakschaal-Too nie langweilig…

Erlebnis Highcamp: Kameradschaft und Kultur

Unser Meteorologe, der in Chamonix sitzt und Wetterkarten für uns anschaut, meldet uns per Satellitentelefon, dass wir vielleicht etwas Glück haben werden: Es kommen drei aufeinanderfolgende Tage mit Sonne. Das bedeutet, dass der frische Schnee auf den steilen Gipfeln sich stabilisieren wird, und vor allem werden wir etwas sehen können. Am nächsten Morgen geht es schnell.

Wir sind eingespielt: eingeseilt, Pickel und Steigeisen, Entscheidungen über die Aufstiegsrouten und schon befin­de ich mich am obersten Punkt der ab­grün­digen Nordwand dieses viertausendundetwas Meter hohen Bergs, der Pony heißt. Die Luft ist klar, die Landschaft unendlich. Die Zeit ist endlich gekommen, die den Aufwand und die Mühe in einem Augenblick kondensiert.

Irgendwann zieht auch das schlechteste Wetter weiter und gibt die Sicht auf Schönheiten wie diese Line wieder frei.
Irgendwann zieht auch das schlechteste Wetter weiter und gibt die Sicht auf Schönheiten wie diese Line wieder frei.

Der ultimative Aufstieg: Vom Dzhirnagaktu-Gletscher zum Gipfel des Pony-Bergs

Fast forward. Die Zeit ist angehalten. Drop in.

In der Wand gibt es einige Stellen, die eisig aussehen, aber meine Kanten halten fest, ich fühle mich sicher und mache einen ersten Turn, dann einen zweiten, dritten und los geht’s. Ich denke nicht mehr. Ich bin nur noch Schwerkraft, Geschwindigkeit und Intuition und fahre diese Wand hinunter.

Die Magie der Abfahrt: Skifahren und Snowboarden in unberührter Natur

Es geht schnell, aber ich nehme es in Zeitlupe auf. Die Luft bläst mir ins Gesicht und meine Augen sind nach unten gerichtet. Nichts existiert mehr außer meinen Bewegungen. Magisch und intensiv – genau das, wonach wir hier suchen gekommen sind. Es ist eine Zeitpause, um dieses Gefühl des Kleinseins inmitten dieser unglaublichen Landschaft rich­tig aufzunehmen.

Diese Gletscher und Bergformen, die Seracs und Spalten – alles sieht gewaltig und harmonisch aus. Die Glätte und Schönheit der Hänge lassen uns fast vergessen, welche fatalen Konsequenzen der kleinste Fehler haben könnte.

Die Gefahren und Schönheiten des Kakschaal-Too

Unten kehrt die normale Wahrnehmung der Welt in etwa zurück. Ich höre französisches Geschrei. Aurels schrille Stimme gellt zu uns herüber:

„Whoaaa, wie geil war das denn?!“

Es klingt wie auf dem Schulhof. Ein Haufen glückliche und viel zu aufgeregte Kinder springen aufeinander, klatschen sich in die Hände und haben nichts anderes zu erzählen, als dass sie Freude haben, einfach da zu sein.

Zurück zum Highcamp: umpacken, essen, schlafen, den Wecker früh in der Nacht stellen, laufen, fellen, klettern und wieder die Zeit anhalten. Der Fokus wird erneut auf das Jetzt gerichtet: ein paar Turns in den mörderisch steilen Hang – und unten am Berg ist wieder eine Gruppe Kinder am Jubeln. Drei Tage lang wiederholt sich dieser Prozess – bis die Wolken zurückkommen. Die Körper und Köpfe sind ausgelaugt.

Es ist Zeit, zurück zum Basecamp zu wandern und durch Matsch zu waten, zu Davran und seiner feinen kirgisischen Campküche. Und dann müssen wir langsam den Weg aus diesem Kakschaal-Too-Gebiet finden. Nach einigen Tagen He­rum­liegen wegen Regen und Schnee im Base­camp schaffen wir es zurück zum rus­sischen Last­wagen, der mittlerweile aus dem Schlamm gezogen werden konnte.

Es geht zurück zu Pisten und Landstraßen… und sogar zu Dörfern… und dann zu­rück zur viel zu schnell voranschreitenden Zeit…

Irgendwann ist auch der aufregendste Trip wieder zu Ende und man kommt langsam wieder zurück in die Zivilisation und das normale Zeitgefühl kehr zurück.
Irgendwann ist auch der aufregendste Trip wieder zu Ende und man kommt langsam wieder zurück in die Zivilisation und das normale Zeitgefühl kehr zurück.

Unvergesslichen Momente im Kakschaal-Too-Massiv

„Stopp! Was ist gerade eben passiert?“, denke ich, als ich aus dem Wagenfenster die Konturen von Dorfhäusern in der Dun­kelheit se­he. Die Zeit nimmt wieder ihren Lauf. Aber in unseren erschöpften Köpfen ist die Zeit im Kakschaal-Too für im­mer angehalten – die Momente auf ewig in unsere Gedächtnisse eingemeißelt.