Die Heimat neu entdecken – genau das hatten sich Max Kroneck, Jochen Mesle und Joi Hoffmann als Ziel für ihre Videomission gesetzt. Dass der Trip fernab der üblichen Powder Hot Spots so erfolgreich verlaufen würde, hätten sich die drei vorher nicht erträumen können.
Text: Max Kroneck, Jochen Mesle
Fotos: Andreas Vigl
„A Few Steps From Home“ – Der Film
„A Few Steps From Home“ – Die Story
„Hüttengaudi“ hieß das Motto bei der spontanen Planung unseres letztjährigen Filmprojekts. Ganz so spontan war dann alles doch nicht – denn die Studentenzeit, in der man den ganzen Winter bequem auf der Lauer liegt und jegliche guten Bedingungen mitnehmen kann, ist bei uns allen lang vorbei.
So hieß es, vier verschiedene Parteien unter ein Dach bei begrenzten und unplanbaren Wetterfenstern zu packen. Zudem lief uns noch die Zeit massiv davon. Doch wieder einmal haben wir gelernt, dass man mit der richtigen Crew in Kombination mit der passenden Idee nichts falsch machen kann und trotz vermutlich schlechter Bedingungen oft verdient belohnt wird.
Kein Allrad, kein Problem?
„Kein Problem, mein Bus hat Allrad!“
Diese euphorischen Worte von „Mülli“ sind längst verklungen. Rückwärts versuchen wir es Meter um Meter die völlig eingeschneite Zufahrtsstraße zum Parkplatz hoch, vom Allrad ist nichts zu merken – hat der Bus auch gar nicht, wie sich dann herausgestellt hat. Dafür hat es über Nacht ordentlich geschneit und das bis ins Inntal runter. Also Bus seitlich eingeparkt und ab auf die Felle.
Da wir ein paar Nächte als Selbstversorger in der Hütte bleiben wollen, haben wir ordentliche Rucksäcke geschultert. Max hat uns souverän ausgelacht, als er die gestapelten Berge mit Essen gesehen hat – aber uns ist spätestens nach „Eis & Palmen“ klar, wie hungrig man nach langen Bergtagen sein kann.
Noch plagen uns Zweifel, was die Tage passieren wird, da der frische Neuschnee wohl mehr verspricht, als er halten kann. Denn hinter uns liegen sehr schneearme Wochen, vor allem hat es bis in tiefe Lagen geregnet. Joi und Max waren vor dem Regen noch auf Scouting-Mission gewesen; als Max „aus Versehen verschlafen“ hatte und Joi nach drei Stunden alleinigem Spuren erst am Gipfel wieder einholte – mit dem Resultat, dass Joi völlig ausgepowert war und Max fit zum Senden.
Potenzial haben sie oben genügend gefunden, doch werden die Bedingungen passen?
Die richtige Hüttenwahl
Aufgrund der mageren Schneebedingungen war für uns die Wahl der Hütte das A und O. Entweder sah die Gegend vielversprechend aus, aber es war keine Hütte beziehungsweise kein Winterraum vorhanden… oder die Hütte war wie perfekt, nur die Schneeverhältnisse grausig.
Unser Ziel war es, Skifahren zu zeigen, wie man es aus den klassischen Ami-Skistreifen kennt: steile Spines, tiefe Tree Runs, dicke Pillows, alles in einer gigantischen Landschaft – nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass das alles bei uns daheim in den Bergen direkt „ums Eck“ passiert und auf Heli und Trara verzichtet wird – so simpel, wie es geht.
Unsere endgültige Hütte war dann das Zufallsprodukt schlechthin: Nach dem ersten Scouten ging es für uns mit Full Speed den Fahrtweg hinunter, als uns zwei Tourengeher entgegenkamen und sich lautstark nach den aktuellen Bedingungen erkundigen wollten… aber no chance zum Anhalten für uns.
Zum Glück kam noch Philipp mit seinem schweren Kamerarucksack ein wenig gemächlicher hinterher, dem sie von dem uns völlig unbekannten, offenen Winterraum berichteten, der sich im Endeffekt als „Luxushütte“ und absoluter Jackpot für uns erschloss: eine Hütte für uns allein in der erdenklich besten Ecke der heimischen Berge für unser Filmprojekt.
Das A und O bei einer Hüttentour: das Essen
Nach der Diskussion, was wir von dem ganzen Essensvorrat unten lassen könnten, ist dann doch Stück für Stück alles in unseren Rucksäcken gelandet, und was nicht mehr reingepasst hat, wurde auf den Rucksack gestrappt.
Bei Jochen baumelte zum Beispiel ein Sack Zwiebeln außen rum und bei Joi steckte in der Skihalterung vom Rucksack das Baguette.
Oben angekommen waren wir ganz schön überrascht: Statt einen kleinen Winterraum mit Kochgelegenheit betreten wir eine doch größere Hütte mit Küche, Badezimmer und einem geräumigen Bettenlager im ersten Stock – hier kann es sich leben lassen.
Einheizen, Wasser holen, kochen, genießen! Morgen wollen wir sehr früh raus mit der Option, einen ersten Run zum Sonnenaufgang zu scoren – fürs Foto wäre das bestimmt richtig gut. Doch Andi, unser Fotograf, ist noch nicht da. Er hat sich angekündigt, aber von ihm ist noch nichts zu sehen – es ist schon nach 22 Uhr und wir fallen gleich ins Bett.
Wo ist eigentlich der Fotograf?
Als wir dann in der Früh um vier den Kaffee machen, fällt uns die Kinnlade runter: Andi steht da, möchte kein Müsli, dafür aber einen doppelten Espresso. Er ist gestern Abend nach einem Fotojob in der Schweiz noch gleich in unsere Richtung gehetzt und durch die Nacht zur Hütte hoch – beziehungsweise erst mal dran vorbei, denn unsere Spuren waren wieder zugeschneit. Irgendwann so gegen ein Uhr hat er sie dann doch gefunden, also vor drei Stunden, und ist gleich ins Bett gefallen.
Na gut, dann dürfen wir den Sonnenaufgang wohl nicht verpassen. So dackeln wir im Schein der Stirnlampen das Tal hinauf.
Als es anfängt zu dämmern, bricht kurz Hektik aus:
Wer fährt welche Linie, wo steht die Kamera, wer darf als Erstes fahren?
So hat auch das Rennen gegen die Sonne begonnen, in steilen Spitzkehren geht es dem Gipfel entgegen. „Wo war noch mal mein Drop-in?“ Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, kommt aber gleich – jetzt aber schnell! Felle abziehen, Skischuhe zuknallen und… bam, die Sonne geht auf, alle sind ready. Unter uns eröffnet sich das reinste Paradies: frischer Traumschnee bei Sonnenschein und ausgesetzte Spines.
Glücksgefühle nach dem Sonnenaufgangs-Drop-In
Als wir drei der Reihe nach bei den Filmern eintrudeln, könnten die Glücksgefühle nicht größer sein. Alle sind happy – doch da meldet sich Andi übers Funkgerät: Er hat die ganze Szenerie von oben aus fotografiert, doch wir haben es total verpeilt, ihm ein Zeichen zu geben, wenn Max losfährt. Na ja, dann eben noch mal hoch. Es könnte Schlimmeres geben und es ist noch früh genug. Nach einem zweiten Run geht’s zufrieden gemeinsam zurück zur Hütte.
Irgendwie sind wir froh, dass Wolken reingezogen sind, so können wir ruhigen Gewissens ein zweites (für Andi erstes) entspanntes Frühstück in der Hütte genießen. Als Joi die Uno-Karten auspackt, fängt es an zu schneien. Genau so haben wir uns das vorgestellt. Jetzt heißt es abwarten, bis der Reset wieder vollkommen ist.
Am Nachmittag schwärmen einige wieder aus; Jochen hat einen Kicker-Spot gefunden und Joi hat eine Pillow-Line zwischen den Bäumen entdeckt. Max versucht indes, mit viel Dehnen und warmen Wasserflaschen, den eingeklemmten Nerv am Rücken wieder loszuwerden.
Der nächste Morgen
Am nächsten Morgen finden wir unsere Ski unter 30 Zentimetern Neuschnee. Sehr gut! So geht es direkt aus der Schlafposition in die Skiposition – und zwar wörtlich! Direkt vor der Hütte verbringen wir einen perfekten Tag mit vielen kurzen, aber spaßigen Runs.
Der Tag vergeht so schnell, dass wir tatsächlich fast den Kicker vergessen haben, den Jochen am Abend zuvor geschaufelt hatte.
„Jetzt aber schnell, gleich wird es dunkel!“
Ohne Speed Check rauscht Jochen los, von oben schaut es aus, als ob er im Bachbett gelandet wäre. Nur schwer sind der Speed und die Richtung einzuschätzen. „Schneller!“, schreit er hoch.
Max geht also noch ein paar Meter hoch, schiebt ordentlich an und landet seinen Siebener knapp neben Joi, der mit der Kamera in der Hand erschrocken mit offenem Mund hinterhergafft.
Noch zwei Hits für jeden, dann war’s das auch schon mit dem Licht. Wie das oft so im Backcountry ist, bleiben an einem Spot nicht viele Hits. Ohne Speed-Check, mit kurzer Landung und komplett blinder Anfahrt sind wir happy, eigentlich alle gelandet zu haben, und freuen uns, die Shots zu sehen.
War wohl nichts – es gab keine gute Perspektive und später wird es kein Shot davon in den Film schaffen. Tja, so ist das manchmal!
Neuer Tag, neues Glück
Wir starten wieder im Schein der Stirnlampe in Richtung Spines. Von der Sonne ist nichts zu sehen, denn es schneit noch ordentlich – laut Wetterbericht soll es ab neun Uhr allerdings schön werden.
Wer schon mal filmen war, kennt das Prozedere sicher, stundenlang am Drop-in zu warten. Die wahrscheinlich einzige Wolke im Inntal – so kommt es uns zumindest vor – hängt genau über uns. Zum reinen Fahren kein Ding, aber für die Kameras ist flaches Licht ein Graus.
„Los geht’s, mach dich bereit, in 30 Sekunden kommt ein Wolkenloch!“
Schuhe noch offen, der Mund voll mit Müsliriegel, keine Handschuhe an, voll im Stress. „Ah nee, doch nicht!“ Und so geht das dahin. Aber irgendwann kommt das verrufene Wolkenfenster doch und in Sekunden steht man unten breit grinsend bei den anderen und alle Hektik hat sich gelohnt.
Was man später im Film selten sieht: Nicht immer läuft alles perfekt. Irgendwie hatte dieses Mal jeder von uns eine Last auf den Schultern zu tragen. Max lag teilweise unbeweglich mit Rückenschmerzen zusammengekauert im Schnee, Joi hat aufgrund eines unaufschiebbaren Jobs die ersten, guten Tage verpasst und Jochen schleppte noch eine harte Erkältung mit sich herum.
Doch kennt ihr noch den legendären Motivations-Talk von Tanner Hall zu Henrik Harlaut kurz vor dessen Nose Butter Triple bei den X Games?
Das „You can do it!!!“ wurde unser Standard-Spruch, der alle zwei Minuten durch die Funkgeräte schallte, und so waren alle Quengeleien vergessen und die Lines und Tricks wurden reingestellt.
Wehmütig, aber voller glücklicher Erinnerungen im Gepäck mussten wir nach einem langen Wochenende – das sich übrigens wie zehn Tage angefühlt hat, weil so viel passiert ist – unsere 17 Sachen packen und durften ein letztes Mal auf die Ski und zurück ins Tal wedeln.
Perfektes Timing vor dem Lockdown
Wie sich herausstellen sollte, war es nicht nur für uns zeitlich die letzte Chance, sondern mehr oder weniger für jeglichen Skifahrer. Denn knapp danach schob uns allen, nicht nur beim Skifahren, etwas schwer Kontrollierbares den Riegel vor: Covid-19.
Was soll man abschließend sagen, das nicht zu sehr in Klischees endet!?
Unser Ziel war es, die heimischen Berge noch mal näher kennenzulernen, anspruchsvolles Gelände zu finden und gleichzeitig die klassische Hektik aus dem Alltag rauszunehmen. Ebenfalls wollten wir das Ganze natürlich bildlich festhalten, sodass hoffentlich auch eine für uns wichtige Message transportiert wird:
Es gibt noch unglaublich viel Schönes und Unbekanntes direkt vor der Haustüre – „a few steps from home“ sozusagen.
Hierfür lohnt es sich, ab und an die eigene Perspektive zu wechseln und manchmal den Blick vom nächsten, noch größeren und weiteren Ziel zurück auf die kleineren, simpleren Dinge zu richten, die direkt ums Eck auf einen warten.