Nur noch wenige Resorts in den Alpen leisten sich den Luxus, eine Superpipe zu betreiben, denn der Aufwand, diese riesigen Halbröhren in Schuss zu halten, steht für viele Resorts in keinem Verhältnis zum Nutzen. Glücklicherweise gibt es diese seltenen Schneegeschöpfe immer noch vereinzelt. Wir haben mit Alli Zehetner einen der professionellen „Pfleger“ am Kitzsteinhorn nach den besonderen Bedürfnissen einer Superpipe befragt.
Alli Zehetner: Der Mann hinter der Superpipe
Hi Alli! Im November war wieder einmal die internationale Freestyle-Elite zu Besuch bei euch am Kitzsteinhorn, um in der Superpipe zu trainieren. Das Wetter hat es euch im vergangenen Herbst aber nicht so ganz einfach gemacht.
Nein, ganz und gar nicht. Aber das gehört einfach dazu, schließlich handelt es sich um einen Sport in den Bergen. Und da oben fällt der Neuschnee oftmals mit starken Winden. Und je nachdem aus welcher Richtung diese dann in die Pipe einwehen, kann sich schnell einseitig Triebschnee bis fast nach obenhin ablagern. Selbst wenn es gar nicht so viel geschneit hat, kommen am Kitzsteinhorn schnell ein bis eineinhalb Meter zusammen.
Das heißt dann für mich, dass ich wieder einmal eine Nachtschicht schieben muss, damit sich die Pipe noch verfestigen kann, bevor am Morgen die Athleten zurückkehren. Den ausgeschobenen Neuschnee verwenden wir dann teilweise für den Easy Park oder für die Pisten außenrum.
Sturm und Neuschnee: Eine tägliche Herausforderung
Nimmst du Sturm und Neuschnee eigentlich sportlich oder kratzt das irgendwann an deinem Gemüt, wenn du fast täglich aufs Neue komplett von vorne anfangen musst, um den Powder aus der Röhre zu befördern?
Nein, das nehme ich natürlich sportlich. Auch weil sich mein Inneres immer freut, wenn es in meiner Heimat schneit, denn wir sind ja alle auf Schnee angewiesen. Außerdem macht es übrigens richtig Spaß, mit der Raupe durch frischen Powder zu fahren und ihn aus der Pipe zu pushen.
An solchen Tagen zehrt natürlich der fehlende Schlaf an den Nerven, da ich entweder gleich komplett durchmachen oder extrem früh mit meiner Arbeit beginnen muss. Anders wäre es nicht zu schaffen.
Saisonale Superpipe-Pflege: Aufwand und Timing
Glücklicherweise hast du solche Tage aber nicht das ganze Jahr. Wie ist das generell bei euch mit der Superpipe: Bist du die ganze Saison über täglich für den Reshape verantwortlich oder betreibt ihr den größten Aufwand eher in der Frühsaison, wenn die Pros bei euch trainieren?
Früher war ich tatsächlich das ganze Jahr am Kitzsteinhorn beschäftigt. Inzwischen komme und gehe ich mehrmals im Jahr, denn ich baue und betreue noch andere Pipes bei diversen Weltcup-Stopps, Weltmeisterschaften und sonstigen Wettkampfserien.
Von Mitte Oktober bis Ende November sind aber die Pipe Training Weeks angesagt und da bin ich natürlich immer am Start. Schließlich komme ich aus der Gegend und bin froh, wenn ich etwas für die Destination und die Region beitragen kann.
Nach den Wochen am Kitzsteinhorn beginnt dann schon bald die World-Cup-Tour für die Athleten – und auch für mich. Anfang Dezember bin ich also noch weit vor den Pros nach China gereist, um im Genting Resort Secret Garden die Contest Pipe zu shapen. Den Park kennt man sicherlich noch von den letzten Olympischen Winterspielen in Peking.
Meistens komme ich dann im Frühjahr zurück nach Kaprun, um die Superpipe wieder für die World Rookie Tour, den Europacup oder die Austrian Masters contesttauglich zu präparieren. In der Zwischenzeit wird die Pipe durchgehend von meinen Kollegen betreut und ist für alle Rider geöffnet.
Lass uns doch mal über den immensen Aufwand sprechen, um eine Superpipe wie bei euch am Kitzsteinhorn zu unterhalten. Wie lange brauchst du, um das Teil nach einem Trainingstag wieder in Form zu bringen?
So viel Aufwand ist das eigentlich gar nicht – zumindest nicht, wenn das Wetter mitspielt. Wie ich ja schon gesagt habe, dreht man nach Schneefall oder Sturm unzählige Extrarunden. Das Gleiche gilt natürlich für Regen, Föhn oder generell hohe Temperaturen im Frühjahr. Wenn man alle diese störenden Faktoren außer Acht lässt, ist der tägliche Reshape in drei bis maximal fünf Stunden erledigt – inklusive Wiederbetankung.
Damit sprichst du bereits das nächste Thema an. Wie viele Liter Diesel schießt du denn an einem normalen Tag durch die Raupe?
Der Verbrauch hält sich beim täglichen Reshape tatsächlich in Grenzen, da ich mit sehr geringer Drehzahl shapen kann. In diesem Bereich hat man zudem deutlich mehr Gefühl an der Steuerung, weil die Pipe-Fräse nicht so stark ruckelt. Mein Pistenbully, an dem das Zaugg „Pipe Monster“ montiert ist, benötigt maximal zwei Füllungen des 230-Liter-Tanks pro Woche.
Neben der Arbeit an den Walls muss ich natürlich auch noch das Deck, die Base und das ganze Setting außenrum shapen. Dafür nutze ich eine reguläre Maschine und diese Arbeit ist für gewöhnlich schnell erledigt, weshalb hier nicht wirklich viel Diesel verfahren wird. Generell versuchen wir natürlich, den Verbrauch so gering wie möglich zu halten.
Wir haben beispielsweise ein sehr effizientes System entwickelt, wie wir den Schnee beim Bau der Pipe nicht unnötig hin- und herschieben müssen. Das spart nämlich nicht nur Sprit, sondern ebenso auch viel Zeit. Der Key ist dabei eine präzise und vorausschauende Planung. Aus diesem Grund legen wir unser Altschneedepot im Frühjahr genau dort an, wo wir den Schnee im Herbst beim Neubau verwenden wollen.
Wir verzichten beim Bau übrigens komplett auf Kunstschnee. Für dessen Produktion wäre es zu dieser Jahreszeit wegen der üblichen Inversionswetterlage ohnehin zu warm. Wenn alles reibungslos läuft, bin ich mit der Pipe nach ungefähr 120 Stunden fertig, was zweieinhalb Wochen entspricht.
Technik des Shapens: Präzision und Herausforderung
Wie funktioniert das Shapen überhaupt? Kannst du mit deinem Gerät auch Schnee auftragen oder nur abfräsen?
Nein, man kann nicht wirklich Material aufbauen. Es lassen sich lediglich im unteren Bereich Löcher füllen, aber das war’s dann auch schon. Aus diesem Grund verbreitert sich die Pipe sukzessive über die gesamte Saison hinweg. Der Radius der Walls bleibt dabei aber immer gleich; diesen gibt die Fräse vor.
Durch das Schwenken nach vorne, hinten oben oder unten lässt sich der Bogen natürlich etwas anpassen, wodurch sich aber schnell Ungenauigkeiten einschleichen, die man dann erneut glattbügeln muss.
Du kannst dir das „Pipe Monster“ am besten wie ein Schnitzmesser vorstellen: Was du von deinem hölzernen Werkstück wegschnippelst, ist unweigerlich verloren. Im Schnee würde ich dementsprechend Wellen hinterlassen, die wiederum negative Auswirkungen auf das Riding der Pros hätten.
Durch die Ungenauigkeit würden die Rider das Vertrauen in die Pipe verlieren und bei ihren Runden nicht volles Risiko gehen. Auf dem Deck oder im Flat zu landen liegt beim Pipe-Fahren leider recht nah beieinander. Verantwortlich dafür, wohin die Reise geht, ist die Vert – also die letzten 30 Zentimeter des Kreisbogens vor dem Coping. Sie bestimmt den Radius nach unten hin zur Mitte der Pipe und somit die gesamten Dimensionen der Halbröhre. Diese 30 Zentimeter beeinflussen maßgeblich die Flugbahn.
Ist die Vert zu flach, crashen die Rider aufs Deck. Ist sie zu steil, werden sie aus der Wall katapultiert und segeln bis ins Flat. Beides würde ziemlich ungut ausgehen, bedenkt man, dass sich die Jungs im Schnitt sechs Meter aus der Pipe schmeißen. Falls sie tatsächlich ins Innere geschleudert werden sollten, kämen dazu noch die sieben Meter Höhe der Pipe.
Ein Sturz aus dem dritten Stock ist eine wirklich ernste Sache. Das ist auch der Grund, warum ich beim Shapen der Pipe so genau wie nur möglich sein will, wenn ich die Dimensionen nach jedem Trainingstag wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen muss. Nur dann können die Rider am nächsten Tag mit dem Training dort fortfahren, wo sie tags zuvor aufgehört haben.
Perfektion über 120 Meter: Der tägliche Reshape
Was ist das Schwierigste daran, den Reshape jeden Tag aufs Neue so perfekt wie möglich zu gestalten?
Die Schwierigkeit liegt darin, die Pipe über die gesamte Länge gleichbleibend zu shapen und das Zusammenspiel von Boden, Radius und Vert konstant zu halten. Wie schon erklärt ist dabei die Vert der entscheidende Faktor. Sie besitzt einen ganz bestimmten Winkel, von dem ich weiß, dass der Rider nach dem Absprung wieder safe im oberen Drittel der Pipe landet, ohne sich zu stark abdrücken oder den Absprung etwas schlucken zu müssen.
Wenn dieser Winkel konstant über die 120 Meter Länge gleich bleibt, können sich die Pros perfekt auf die Bedingungen einstellen und an ihren Tricks arbeiten. Was viele Athleten und auch Trainer nicht wissen, ist, dass die Vert deutlich aus dem Lot nach außen kippt. Um wie viel genau, bleibt mein Firmengeheimnis. Ich kann dir aber sagen, dass schon eine Abweichung um nur 0,5 Grad von diesem Winkel einen spürbaren Einfluss auf das Riding hätte.
Kommst du eigentlich selber auch noch in die Pipe?
Leider viel zu selten. Wenn ich international unterwegs bin, finde ich meistens keine Zeit für eine kurze Session. Aber ab und zu geht es sich zumindest zu Hause am Kitzsteinhorn aus – was natürlich immer Spaß macht. Bis ich mich wieder an das Gefühl in der Luft herangetastet habe, schwingt anfangs immer eine gehörige Portion Respekt mit.
Vom Big-Air-Kicker zur Superpipe: Allis Werdegang
Wie bist du überhaupt zum Shapen gekommen? Und wie kommt man dahin, dass man sich auf Pipes spezialisiert?
Ursprünglich habe ich angefangen, Big-Air-Kicker zu bauen. Das war schon damals in den 90ern. Als sich die FIS in den Freestyle-Sport eingeklinkt hat, hab ich dann auch an den Weltcup-Stopps die Kicker gebaut und irgendwann ebenfalls die Pipes übernommen. Die waren damals aber noch um einiges kleiner und wurden nicht nur von den Shape-Aufsätzen in Form gebracht, sondern teilweise auch noch von Hand.
Wenn ich mein aktuelles „Pipe Monster“ von Zaugg mit den Modellen von damals vergleiche, hat sich aus technischer Sicht unglaublich viel bei den Fräsen getan. Bei den Pistenraupen übrigens genauso viel.
So richtig losgegangen ist es dann bei mir, als ich im hiesigen Sommer 2007 die Pipe im neuseeländischen Cardrona pflegen durfte. Bis auf ein paar Jahre Auszeit war ich seither eigentlich jeden Sommer auf der Südhalbkugel und habe in Neuseeland eine Art zweite Familie gefunden. Dort habe ich mit Sicherheit am meisten über das Shapen von Pipes gelernt.
Zwei Side Facts: Die Pipe in Cardrona ist die einzige in der südlichen Hemisphäre und besteht zu 100 Prozent aus Naturschnee.
2023 habe ich allerdings eine Papapause eingelegt und bin zu Hause in Österreich bei meiner Frau und unserer kleinen Tochter geblieben. Perfektes Timing, könnte man sagen, denn im vergangenen Sommer hatte es in Neuseeland tatsächlich zu wenig weißes Baumaterial. In Zukunft nehme ich die beiden dann einfach mit auf die Südinsel.
Meilensteine eines Shapers: Olympische Spiele und mehr
Oder auch zu den Olympischen Spielen, bei denen du schon zweimal die Halbröhre shapen durftest. Waren das absolute Highlights, auf die du hingearbeitet hast?
Mit den Youth Olympics im Kühtai waren es sogar schon drei Einsätze und mit den diesjährigen Jugendspielen in Südkorea kommt dann der vierte Einsatz dazu. Es war auf jeden Fall etwas Besonderes, die olympischen Halfpipes in Pyeongchang und China zu shapen.
Ich erinnere mich aber auch gerne an die Spiele in Sotschi zurück, bei denen ich im Park mitbauen durfte – oder die inzwischen acht Weltmeisterschaften. Highlights sind für mich aber auch, wenn neue, noch nie da gewesene Tricks oder Kombinationen gesprungen werden – egal ob bei Contests oder irgendwo im Training, Hauptsache in einer meiner Pipes.
Dass Snowboarder Kaishu Hirano in einer meiner Pipes den Weltrekord mit seinem 7,5 Meter hohen Air geholt hat, ist natürlich eine tolle Bestätigung für meine Arbeit. Und wer weiß, was noch kommen wird.
Gibt es eigentlich eine Battle zwischen den Shapern, wer die dicksten Pipes bauen darf? Im Netz findet man neben deinem Namen als Shaper der olympischen Pipe immer wieder den Namen Jeremy Carpenter, der in LAAX die Halbröhre bearbeitet.
Ich kenne ihn nicht persönlich. Aber Battle, nein. Warum auch? Es geht darum, unseren Sport weiterzubringen. Es geht um eine safe und längere Airtime, damit Athleten neue Tricks lernen können. Ich bin froh, dass sich neben mir noch andere Leute dem Thema Pipe-Shaping gewidmet haben und sich über potenzielle Verbesserungen Gedanken machen. Ansonsten würde doch dieser Sport irgendwann stagnieren oder gar aussterben.
Dass es immer weniger Athleten und auch Trainingsmöglichkeiten gibt, hängt direkt voneinander ab. Diesen Trend müssen wir mit sicheren und gleichzeitig unterhaltbaren Halfpipes in deutlich mehr Skigebieten stoppen. Das schaffen wir nur mit Leuten, die wissen, wie man genau diesen Spagat aus Sicherheit und überschaubaren Kosten schaffen kann.
Und wo sollten zukünftige Shaper dieses Handwerk lernen, wenn die Resorts nicht bereit sind, genau in diese nächste Genration zu investieren? Es muss ja nicht immer gleich eine Superpipe sein. Schon eine vier Meter hohe Pipe macht unglaublich Spaß und könnte ein tolles Sprungbrett für den Nachwuchs sein.