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“Arctic 12” – Skifahren auf den 12 höchsten Bergen Schwedens

Text Jackie Paaso Fotos Martin Olson

Diese Story erschien ursprünglich im PRIME Skiing Printmagazin #31.

Schon einen der zwölf abgeschiedenen Zweitausender Schwedens zu erklimmen ist ein Abenteuer für sich. Das komplette Dutzend ohne Unterstützung von Heli, Sled oder sonstigen Transportmitteln abzuarbeiten grenzt schon fast an Wahnsinn.

Diesen haben sich aber Jackie Paaso und ihre Crew letzten April gegeben und daraus die Doku „The Arctic 12“ gestrickt. Was das fünfköpfige Team während dieses Abenteuers erlebte, erzählt euch die US-Amerikanerin in dieser Story.

Full Movie: Arctic 12 – Skifahren auf den 12 höchsten Bergen Schwedens

Dass die schwedischen Berge mehr zu bieten haben, als die meisten Leute wohl annehmen würden, wusste ich bereits. In meiner langjährigen Ski-Karriere hatte ich schon mehrmals die Gelegenheit, im nördlichsten Teil Skandinaviens gewaltige Lines fahren zu dürfen. Als ich die wahnwitzige Idee hatte, alle zwölf über 2.000 Meter hohen Gipfel Schwedens miteinander zu verbinden, hatte ich zwar noch keine Vorstellung davon, was uns in diesen Wochen genau erwarten würde, für eine Vorahnung sollte es aber dennoch reichen, auch wenn ich schon zu Beginn unseres Aben­teuers einige Mühen hatte, de­taillierte Infor­mationen über die geplante Route zusammenzutragen.

Die Grundidee klingt erstmal einfach: alle zwölf Berge über 2.000 Meter in Schweden mit Skiern bewältigen. Die Umsetzung erfordert hingegen sehr viel Aufwand.
Die Grundidee klingt erstmal einfach: alle zwölf Berge über 2.000 Meter in Schweden mit Skiern bewältigen. Die Umsetzung erfordert hingegen sehr viel Aufwand.

Ebenso erging es auch Erin Smart und Benjamin Ribeyre, den zwei UIAGM-Bergführern aus La Grave, die mit von der Partie waren. Die beiden Schweden in der Gruppe, Reine Barkered als Pro und Martin Olson als Ka­meramann, waren ebenfalls noch nie in den meisten dieser abgeschiedenen Landstriche unterwegs gewesen, sodass unsere Fakten eher dürftig ausfielen. Fest stand lediglich, dass das Gipfel-Dutzend komplett nördlich des Polarkreises lag und sich über eine Strecke von 400 Kilometern verteilte – meistens fernab jeglicher Zivilisation. Um alle abzuklappern, müssten wir die Nationalparks Sarek und Stora Sjö­fallet durchqueren und würden in der Nähe des Kebnekaise enden.

Da alle Gipfel nördlich des Polarkreises liegen und sich über eine Strecke von 400 Kilometern, meistens fernab jeglicher Zivilisation, verteilen, ist eine perfekte Vorbereitung unverzichtbar.
Da alle Gipfel nördlich des Polarkreises liegen und sich über eine Strecke von 400 Kilometern, meistens fernab jeglicher Zivilisation, verteilen, ist eine perfekte Vorbereitung unverzichtbar.

Nach dem Start in Kvikkjokk, dem südlichsten Punkt unserer Reise in den Norden, hatten wir eigentlich zwei Tage eingeplant, um zu unserem Basislager für die ersten beiden Gipfel im Pårte-Massiv zu gelangen.

Als der Wetterbericht nach dem zweiten Tag eine Schlechtwetterfront ankündigte, wollten wir die aktuellen guten Bedingungen jedoch nutzen.

Wir än­der­ten also unseren Plan und zogen die geplanten Gipfel um einen Tag nach vorne. Schließlich befanden wir uns in Skan­di­navien und dort muss man jedes aussichtsreiche Wetterfenster auskosten. Das bedeutete aber auch, dass wir mehr als 40 Kilometer mit über 2.000 Höhenmetern gleich an Tag zwei vor uns hatten. Es sollte also ein äußerst anstrengender Tag werden und es war erst unser zweiter gemeinsamer Tag als Team. Weil wir noch nicht aufeinander eingespielt waren, begingen wir natürlich Fehler – der größte des gesamten Trips gleich zu Beginn unseres Abenteuers ging allerdings auf meine Kappe

Aufgrund einer Schlechtwetterfront musste das Team gleich zu Beginn des Trips den Zeitplan ändern und damit mehr als 40 Kilometer mit über 2.000 Höhenmetern gleich an Tag zwei bewältigen.
Aufgrund einer Schlechtwetterfront musste das Team gleich zu Beginn des Trips den Zeitplan ändern und damit mehr als 40 Kilometer mit über 2.000 Höhenmetern gleich an Tag zwei bewältigen.

Nach zwei Peaks und über 30 Kilometern in den Knochen war bei mir der Akku ausgebrannt – komplett. Nichts ging mehr ohne die Hilfe meines Teams. Ich fühlte mich, als wäre ich gegen eine Wand gerannt, schlimm. Ich hatte meine Verpflegung und mein Wasser zu sehr rationiert, weil ich bemerkt hatte, dass Reine und Martin schon recht früh am Tag kaum noch Verpflegung hatten. Infolgedessen schraubte ich meine Energie- und Wasserzufuhr nach unten, um bei Bedarf etwas abgeben zu können.

Durch diesen vermeintlichen Edelmut hatte ich mich allerdings selbst in eine gefährliche Situation ma­növriert. Ich hatte einen Fehler begangen und war mir nicht zu schade, mich dafür am nächsten Morgen beim Team zu entschuldigen. Damals habe ich eine wich­tige Lektion gelernt, die ich für immer ­mit­nehmen werde. Trotz meiner Ent­schul­digung habe ich mit meinem unnötigen Verhalten das Team gespalten. Martin und Reine ließen sich von der Situation nicht wirklich aus der Ruhe bringen. Erin und Benj hingegen nahmen meine Ent­schul­digung zwar an, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie dabei aufrichtig waren. Dieses unbehagliche Gefühl nagte extrem hart an mir.

Aufgrund des gestrafften Zeitplans passierten gleich am Anfang des Trips im Teak Fehler und sorgten für unnötige Unruhe.
Aufgrund des gestrafften Zeitplans passierten gleich am Anfang des Trips im Teak Fehler und sorgten für unnötige Unruhe.

Für Erin und Benj reiste das Team im All­ge­meinen viel zu langsam. Wir waren aber in den Norden Schwedens gereist, um hier einen Film zu drehen. Ich glaube, unsere beiden Guides hatten mit diesem zeit­aufwendigen Konzept zu kämpfen. Das machte die Spannung, die schon von Beginn an zu spüren war, täglich schlimmer. Dennoch wollten wir an unserem Plan fest­halten – beziehungsweise unseren Versuch, die zwölf Gipfel zu erklimmen und anschließend zu befahren, dokumentarisch festhalten. Schnelligkeit hatte in diesem Drehbuch niemals eine Rolle gespielt.

Blumenkohlschnee ist kein Begriff, den man oft hört, wenn man in den Alpen oder vielleicht im Westen der USA lebt. Wenn man aus Schweden stammt und schon einmal auf einem schneebedeck­ten Berg­gipfel war, hat man Blumenkohlschnee wahrscheinlich schon gesehen – oder zumindest davon gehört. Für Erin und Benj war es zumindest etwas Neues und stellte die beiden beim Setzen von An­kern und beim Klettern an schneebedeckten Wänden vor unerwartete Herausforderungen. Benj hatte diese Art von Schnee in einer Höhe von 5.000 Metern in den Anden zwar schon einmal gesehen, welche Tücken die brü­chige Konsistenz dieses weißen Anraums mit sich bringt, durfte er aber erst während der Tage im Sarek am eigenen Leib erfahren.

Ambitionierte Ziele schaffen und gleichzeitig den ganzen Trip in einem Dokufilm festhalten kann ziemlich anstrengend werden.
Ambitionierte Ziele schaffen und gleichzeitig den ganzen Trip in einem Dokufilm festhalten kann ziemlich anstrengend werden.

Im gleichnamigen Nationalpark hatten wir insgesamt vier Gipfel (Toppen) zu bewältigen. Aber selbst ohne Sturm oder mein Unvermögen wurden aufgrund der besagten Schnee-Ano­malien zwei der vier Peaks echte Herausforderungen: der Stortoppen und der Nordtoppen. Der Weg war technisch anspruchsvoller und dauerte durch die komplizierten Verankerungen im Blumenkohlschnee deutlich länger, als wir erwartet hatten. Es war eine Qual. Unser Plan, an Tag zwei schon auf dem ersten der vier Gipfel zu stehen, kommt mir im Nachhinein mehr als verrückt vor.

Als Nächstes standen der Sydtoppen und der Buchttoppen auf dem Plan. Als wir ziemlich früh am Morgen in unseren Zelten aufwachten, waren die Berge noch in Wolken gehüllt. Die Sicht war also eher bescheiden, dennoch wollten wir einen Versuch wagen. Nach einer Stunde bemerkte Reine, dass uns Benj in die falsche Richtung marschieren ließ. Ein Blick auf den Kompass verriet auch mir, dass wir vom Weg abgekommen waren. Glückli­cher­weise bemerkte Reine den Fehler frühzeitig, sodass wir keinen großen Umweg machen mussten und nicht allzu viel Zeit verloren hatten.

Bald befanden wir uns wieder auf dem richtigen Weg nach oben und hofften, dass sich die Sonne endlich durch das dicke Grau hin­durch­drücken würde. Nicht nur weil es unangenehm kalt war, sondern auch weil die Lawinensituation etwas heikel war und wir bei Sicht die Lage deutlich besser einschätzen könnten.

 

Schließlich standen wir auf dem Gipfel. Nach ein paar Minuten riss dann die Wolkendecke ein wenig auf und spendierte uns einen fantastischen Blick auf die Landschaft. Noch spannender war lediglich, was vor beziehungsweise unter uns lag. Es schien tatsächlich ein genialer Run auf uns zu warten. Die Sicht war gut – alles, was wir benötigten. Nach dem Stress im Pårte-­Massiv und dem Sturmtag nach den ersten Gipfeln im Sarek-Nationalpark käme ein entspannter, relativ stressfreier Tag in den Bergen gerade recht. Und genau das war dieser Tag. Anstatt mit müden und ausgezehrten Gesichtern im Lager anzukommen, hatten wir alle ein Lächeln im Gesicht. Später sollten wir erfahren, dass dies einer der wenigen Tage war, an denen alles reibungslos verlief.

Auch bei schwierigen Trips passt manchmal einfach alles und man kann den perfekten Run genießen.
Auch bei schwierigen Trips passt manchmal einfach alles und man kann den perfekten Run genießen.

40 Kilometer entfernt liegt der Akka. Von seinem Gipfel führt mit knapp über 1.500 Höhenmetern die längste Abfahrt Schwedens hinunter. Laut unseren Informationen sollte dieser Run eines unserer einfacheren Ziele werden. Und tatsächlich sah es anfangs noch danach aus, als sollte es ein großartiger Tag werden. Wir machten uns von Akkastugan auf den Weg zum Bergfuß des Akka, wo wir unser Lager auf­schlu­gen und zu Mittag aßen, bevor wir zu unserer Tour zum Gipfel aufbrachen. An diesem Tag waren wir aus­nahms­weise nicht allein in der sonst unberührten Wildnis unterwegs, denn es versuchten noch ein paar andere Gruppen den Aufstieg. Erin führte den Weg zum Gipfel an, als Benj sich über ihre Rou­­ten­wahl beschwerte. Zuerst schien es nicht wirklich schlimm zu werden, doch bald eskalierte die Situation und der Streit zog sich den ganzen Tag hin.

Wenn innerhalb des Teams Unstimmigkeiten herrschen, kann man auch den schönsten Run nicht in vollen Zügen genießen.
Wenn innerhalb des Teams Unstimmigkeiten herrschen, kann man auch den schönsten Run nicht in vollen Zügen genießen.

Es war ein surrealer Moment, als wir auf dem Gipfel standen. Wir hatten mehr als die Hälfte unserer geplanten Runs bereits abgehakt und uns wurde ein unglaublich schönes Panorama spendiert. Dennoch waren nicht alle aus der Crew glücklich. Erin hatte die Meinungsverschiedenheit mit Benj sehr mitgenommen. Und auch ich konnte den Augenblick nicht vollends genießen, weil ich ganz genau wusste, wie sehr es in Erin brodeln musste.

Auch Reine hatte sich kurzzeitig mit Benj in die Haare bekommen, als dieser ihm unterhalb des Gipfels zu verstehen gab, dass ab hier Steigeisen nötig wären. Reine sah das allerdings etwas anders. Im Gegensatz zu Erin konnte er diesen Disput aber schnell ­abschütteln und den grandiosen Anblick genießen.

 

Am nächsten Tag mussten wir zehn Kilometer zu einem vorher vereinbarten Treffpunkt mit unserem Versorgungsfahrzeug marschieren, um unseren Müll zu entsorgen und uns mit frischem Proviant einzudecken. Nachdem wir unsere Vorratsspeicher wieder aufgefüllt hatten, konnten wir unsere Reise in den Norden fortsetzen.

Mit frischem Proviant vom Versorgungsfahrzeug kann es wieder weitergehen.
Mit frischem Proviant vom Versorgungsfahrzeug kann es wieder weitergehen.

Glücklicherweise wogen die Schlitten weniger, als wir befürchtet hatten. Der Weg von der kleinen Siedlung zurück in die Berge zog sich über mehrere Stunden leicht ansteigend dahin. Am Ende wurden wir jedoch mit einer schönen Abfahrt für den langen Hike belohnt.

Unten angekommen verließen wir schließlich die Motorschlittenspur und verdrückten uns in den Nationalpark Stora Sjöfallet. Wieder einmal waren wir allein in der Wildnis. Nach dem kurzen Ausflug in die Zivilisation war es ein willkommenes Gefühl. Obwohl dies der letzte Nationalpark sein sollte, durch den wir reisen würden, mussten wir ihn schon bald wieder verlassen.

 

Nach etwa 200 Kilometern wuchsen die Spannungen im Team und es wurde immer schwieriger, die gereizte Stimmung zu ignorieren. Trotz der internen Frustrationen verloren wir dennoch unser Ziel niemals aus den Augen und spulten täglich die geplanten Kilometer ab. Wir kamen gut voran. Bald würden wir zum ersten Mal seit unserer Abfahrt in Kvikkjokk wieder auf den Kungsleden stoßen. Im Dunstkreis dieses legendären Tracks würden wir wieder in die Welt der Motorschlitten, Hubschrauber und deutlich mehr Reisegruppen eintauchen.

Egal wie die Stimmung im Team ist, solche Sonnenuntergänge bleiben unvergesslich.
Egal wie die Stimmung im Team ist, solche Sonnenuntergänge bleiben unvergesslich.

Zunächst mussten wir aber noch einen riesigen Hügel mit unseren voll beladenen Schlitten bezwingen. 60 Kilo schwere Pulks zu ziehen ist nicht wirklich schlimm – solange man keine steilen Hügel erklimmen muss und der Untergrund hart ist. Glücklicherweise war es bis zu diesem Punkt einige Kilometer lang recht flach gewesen und wir hatten noch genug Energie, um die vor uns liegende Herausforderung zu meistern.

 

Der Frühling hatte Nordschweden heute hart und schnell getroffen, und als wir den Hügel erreichten, waren wir alle bis auf die Unterwäsche ausgezogen.

Wir freuten uns, zur Abwechslung ein paar warme Frühlingstage genießen zu können, zumindest dachten wir das.

Wir sollten bald feststellen, dass die hohen Temperaturen zu einem echten Problem würden.

Die folgenden zwei Gipfel hakten wir auf dem Kebnekaise ab, dem höchsten Berg Schwedens. Nachdem wir sowohl den Syd- als auch den Nordtoppen des Massivs bestiegen hatten, gingen wir am Grat entlang nach Norden zum Pauline‘s Corridor. Es sah ganz danach aus, als dürften wir uns über einen schönen Run vom Grat hinab freuen. Ich stieg zuerst ein, stellte jedoch schnell fest, dass die Abfahrt nicht so angenehm war, wie wir gehofft hatten.

Während der ersten Turns war der Schnee noch weich, wurde aber stetig eisiger. Der Rest des Teams konnte diesen Wechsel sicher gut nachvollziehen, schließlich waren meine Kanten Hunderte Meter weit zu hören, wie sie über das Eis ratterten. Nicht schlimm, dachte ich, nur eben auch nicht schön. Ähnlich erging es wohl Reine, der den Hang wie gewohnt mit etwas mehr Speed als Normalsterbliche herunterbolzte. Ich scherzte noch: „Ha, you ­looked like shit!“

Als Erin einstieg, konnte man sehen, dass ihr der eisige Untergrund nicht behagte und sie sich recht unwohl fühlte. Es dauerte einige Zeit, bis sie sicher unten bei uns ankam. Was sie für blaues Eis hielt, waren für Reine und mich typisch schwedische Verhältnisse. Nachdem wir jedoch gesehen hatten, wie Erin sich auf dem Weg nach unten abmühte, wussten wir, dass der Run für Martin eine noch größere Herausforderung werden sollte. Er fühlte sich bei eisigen Bedingungen generell unsicherer als Erin, und er hatte zudem einen schweren Fotorucksack auf dem Rücken. Okay, die Kombination ist tatsächlich nicht ideal.

Als Nächstes standen die Gipfel Gaskkascohkka und Gaskkasbakti auf der Liste. Der Run vom Gaskkascohkka war eine ziemlich unkomplizierte Skitour. Der Gask­kasbakti hingegen ist generell mit Vorsicht zu genießen – sei es aus Sicht der Lawinenproblematik wie auch aus Sicht seiner technisch schwierigen Besteigung. Und der Gipfel machte seinem schlechten Ruf alle Ehre. Wir mussten uns sehr auf die alpinen Fähigkeiten verlassen, die Erin und Benj in das Team einbrachten. Glücklicherweise hatten wir den ganzen Tag über Sonne und ungewöhnlich wenig Wind.

Gibt es auch in Schweden: Sonnenschein und wenig Wind - vor allem sehr hilfreich bei anspruchsvollen Touren!
Gibt es auch in Schweden: Sonnenschein und wenig Wind – vor allem sehr hilfreich bei anspruchsvollen Touren!

Wir hätten uns also kein besseres Wetter für diesen anspruchsvollsten Tag unseres Aben­teuers wünschen können. Und Benj hatte ausnahmsweise keine Probleme, eine Route auf dem Grat zu finden. Langsam und stetig bahnten wir uns als Team unseren Weg über den ausgesetzten Nordost-­Grat zum Gipfel. Von dort aus war die Aus­sicht einfach fantastisch.

Nettes Zusatzerlebnis, wenn man hoch im Norden Schwedens unterwegs ist: Polarlichter!
Nettes Zusatzerlebnis, wenn man hoch im Norden Schwedens unterwegs ist: Polarlichter!

Wir ließen unsere Skier am Sattel zwischen Gaskkascohkka und Gaskkasbakti zurück, bevor wir zum Gipfel des Gask­kasbakti aufstiegen. Als wir wieder bei unseren Skiern ankamen, fühlte es sich fast so an, als hätten wir unsere Mission abgeschlossen. Nicht ganz, denn wir hatten nur noch einen Gipfel vor uns, und obwohl es noch 40 Kilometer bis dorthin und weitere 30 Ki­lo­meter aus dem Massiv waren, überkam uns nach dem Erfolg des Gaskkasbakti eine große Erleichterung.

Hätten wir uns 2015 auf diese Mission begeben, hätte sie wohl „The Arctic 11“ und nicht „The Arctic 12“ geheißen.

Im Jahr 2016 wurde nämlich eine außerplanmäßige Landvermessung der schwedischen Berge durchgeführt. Das Ergebnis war die Entdeckung eines weiteren über 2.000 Meter hohen Bergs in Schweden. Der Sielmmacohkka, der ursprünglich mit einer Höhe von 1.997 Metern angegeben wurde, präsentierte nämlich eine Höhe von stolzen 2.004 Metern. Dummerweise verlängerte diese Entdeckung unsere Reise um die besagten 70 Kilometer. Und dieser Gedanke hing mir schwer im Hinterkopf. Diese 70 Kilometer würden sicher noch ein hartes Stück Arbeit werden.

Irgendwie schafften wir es dennoch bis auf den Sielmmacohkka. Die Anspannung bis dort hinauf war ein steter Be­gleiter. Es war ein bitteres Ende für eine so bemerkenswerte Leistung. Alles, was ich wollte, war, den Moment wirken zu lassen, die Frustration der Gruppe beiseitezuschieben und einfach zu genießen, was wir erreicht hatten. Kurz nach uns erreichte eine geführte Gruppe den Gipfel. Ich glaube nicht, dass sie unsere gereizte Stimmung bemerkten.

Einige der Tourengeher hatten unser Abenteuer über die sozialen Medien mitverfolgt und waren dementsprechend aufgeregt, diesen Moment des Erfolgs mit uns teilen zu dürfen.

Es war eine bizarre Situation, so genervt und glücklich zugleich zu sein.

Beim Abstieg schien sich der Stress von Erin und Benj zu legen, als wir aus den Wolken herauskamen. Natürlich durften wir es wegen der schwierig einzuschätzenden Lawinensituation nicht übertreiben. Wir bemerkten jedoch, dass die Sonne der letzten Tage das Risiko eines Schneebretts deutlich minimiert hatte. Die Bedingungen waren also perfekt und wir durften in frischem Powder surfen. Für einen kurzen Moment war alles in Ordnung. Nach Hunderten von zurückgelegten Kilometern mit zahlreichen Blasen, schmerzenden Knochenspornen, täglichem Muskelkater, gefriergetrockneten Mahlzeiten und dem nicht enden wollenden Stress wurden wir endlich mit frischem Pulverschnee belohnt.

Als wir wieder in Nallostugan ankamen, war es an der Zeit, die Schlitten zu bepacken und das Tal hinunter nach Vistas­stugan zu fahren. Wir hatten von einigen Motorschlittenfahrern, die in dieser Gegend arbeiten, gehört, dass die Schneedecke inzwischen geschmolzen und diese Route nicht mehr benutzbar wäre. Wir hatten die Befürchtung, dass selbst für uns mit unseren leichten Schlitten der Marsch kompliziert werden könnte. Es machte also nur Sinn, sofort so viel Strecke wie möglich zurückzulegen, solange die Temperaturen noch niedrig waren.

Glücklicherweise erwies sich der Abstieg nach Vistasstugan als ziemlich einfach, sodass die Tatsache, dass wir bereits früher am Tag den Sielmmacohkka bestiegen hatten, kein Problem darstellte. Wir kamen rechtzeitig in der Hütte an und genossen einen der letzten gemeinsamen Abende. Wir hatten noch knapp 30 Kilometer vor uns und keine Ahnung, was für Bedingungen vor uns lagen. Wenn wir Glück hatten, konnten wir in einem Tag am Ziel sein, mit Pech in drei.

Einen der letzten gemeinsamen Abende konnte die Gruppe gut geschützt in einer Hütte verbringen.
Einen der letzten gemeinsamen Abende konnte die Gruppe gut geschützt in einer Hütte verbringen.

Am nächsten Tag kamen wir zu Beginn aber nicht wirklich vom Fleck. Abschnittsweise war die Eisdecke über dem Fluss tatsächlich verschwunden, sodass es unmöglich war, ihm zu folgen. Deshalb wurden wir seitlich in den Uferbereich mit kleinen Bäumen und Sträuchern abgedrängt, was den Weg langsam und ex­trem beschwerlich werden ließ. Ich befürchtete schon, dass wir tatsächlich noch drei Tage bräuchten, um diese letzte Etappe zurückzulegen, die uns noch blieb. Ich glaube nicht, dass ich die Einzige in der Gruppe war, die diese dunkle Vorahnung hatte.

Schließlich schloss sich die Schneedecke über dem Fluss wieder. Es war eisig und schnell, genau das, was wir uns alle erhofft hatten. Sofort spürte man, wie die Stimmung in der Gruppe kippte. Auch hier sagte niemand, was er dachte, aber ich weiß, dass ich anfing zu glauben, dass es tatsächlich möglich sein könnte, den Rest des Weges nach Nikkaluokta heute zurückzulegen.

Ich befürchtete nur, dass diese Bedingungen nicht von Dauer sein würden.

Wir alle wussten, dass wir uns besser nicht zu früh freuen dürften, also schwiegen wir und hofften weiterhin das Beste. So sehr wir es auch genossen, in der wunderschönen Landschaft Skandinaviens unterwegs zu sein, waren wir doch alle froh, nach Hause zu kommen.

Es war lustig zu sehen, wie Martin vor der Gruppe herlief. Das war das erste Mal seit über 400 Kilometern, dass ich ihn so schnell marschieren sah. Ich hoffte um seinetwillen, dass er das Tempo halten konnte. Schließlich wussten wir noch nicht, was vor uns lag.

Gegen 16 Uhr, etwa sieben Kilometer vor dem Ziel, fragten Erin und Benj, ob wir ein Lager aufschlagen sollten. Ich antwortete, dass wir noch etwa 90 Minuten be­nö­tigten. Wenn wir das Tempo beibehalten könnten und die Bedingungen mit­spiel­ten, wäre es nicht nötig, noch mal die Zelte aufzustellen. Obwohl Erins Handgelenke stark schmerzten, wusste ich, dass auch sie hoffte, heute Abend noch das Ziel zu erreichen. Ich bot ihr also an, ihr etwas Stuff abzunehmen, um sie zu entlasten. Sie lehnte ab, auch wenn die Schmerzen unübersehbar aus ihrem Gesicht sprachen. Sie schlug sich durch. Es war an der Zeit, dass dieses Abenteuer zu Ende ging.

Die Crew: Benjamin Ribeyre (o.l.) , Jackie Paaso (o.r.), Reine Barkered (u.l.) & Erin Smart (u.r.)
Die Crew: Benjamin Ribeyre (o.l.) , Jackie Paaso (o.r.), Reine Barkered (u.l.) & Erin Smart (u.r.)

Gegen 17:30 Uhr am Abend des 29. April waren wir als Team in Nikkaluokta angekommen.

Wir waren 26 Tage unterwegs gewesen, hatten über 415 Kilometer zurückgelegt und dabei alle Gipfel über 2.000 Meter in Schweden miteinander verbunden.

Es war eine schöne, wahnsinnig anstrengende, aber lohnende Reise. Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich nicht nur viel über die schwedischen Berge gelernt habe, sondern auch eine Menge über mich selbst. Die Reise verlief nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber ich denke, genau das macht sie zu einem Abenteuer: Man hat keine Ahnung, was wirklich vor einem liegt.