Die Doku „Ialakha“ begleitet eine Skidurchquerung in einer gottverlassenen Region im georgischen Kaukasus. Ziel der Crew um Sammy Theurer und Heli Hofmann waren feine Spine Walls, die im Winter nur zu Fuß erreichbar sind. Ging der Plan der Skitraverse in Georgien auf?
Video: „IALAKHA“ – Ein unorthodoxes Skiabenteuer im georgischen Kaukasus
Die Crew
Nervös bin ich, das merkt man mir an. Vor uns liegen acht Stunden Autofahrt nach Oni. Wir, das sind Yessica Kurock, Heli Hofmann, Levi Seiferheld, Eva Stříbrná und ich, Filmer und passionierter Tourengeher aus Freiburg.
„That’s Georgia“, meint Heli. „Hier kannst du dich auf vieles verlassen – nur nicht darauf, dass etwas so eintrifft, wie du es dir vorher überlegt hattest. Also entspann dich, wir werden schon ankommen.“
Super! Genau das, was ich als Start für eine Skidokumentation im georgischen Kaukasus benötige – meine erste Skidokumentation, eigentlich auch mein erster Dokumentarfilm.
Das Ziel
Unser Ziel: Wir wollen uns an einer bis dahin unbegangenen Skidurchquerung im georgischen Kaukasus versuchen. Das Konzept für dieses spannende Projekt stammt von Heli, den ich aus der Heimat Freiburg kenne.
Der Grundgedanke für dieses Abenteuer erscheint eigentlich simpel und logisch: Von Oni, dem letzten bewohnten Ort der Region Racha, lassen sich mehrere Spine Walls erreichen. Je weiter man sich von diesem Ort in Richtung russische Grenze bewegt, desto beeindruckender, steiler und höher werden diese Berge. Und desto massiver werden die fahrbaren Zonen.
Da jedoch irgendwann der Rückweg zum Ausgangspunkt länger wäre, ergab es in der Planung nur Sinn, daraus eine Freeride-Orientierte Skitraverse zum nächsten bewohnten Dorf in der Region Svaneti zu machen. Quasi wie die Haute Route, nur halt deutlich weniger überlaufen. Genau genommen gar nicht überlaufen – oder besser gesagt das absolute Gegenteil, denn die Region, durch die wir wollen, ist im Winter komplett menschenleer.
Sobald die Bewohner der Siedlungen im Herbst ihre Häuser verlassen und die Straßen langsam eingeschneit werden, wird diese Ecke des georgischen Kaukasus zum absoluten Niemandsland. Ein gewaltiger Kontrast zu den Skitouren, die ich bisher in den Alpen gemacht habe.
Der Letzte bringt das fehlende Material
Da über die Hälfte der Crew schon vor unserem Trip bereits nach Georgien gereist war, hatte ich die spannende Aufgabe, alles fehlende Material zu organisieren und mit nach Osten zu bringen.
Aber was genau braucht man für solch ein Unterfangen?!
Bisher habe ich im Winter noch nie draußen gecampt. Mein einziger Berührungspunkt mit dem Konzept Skidurchquerung war eine dreitägige Frühlings-Mission im Schwarzwald. Und die war eine wirkliche Qual, obwohl wir abends in Ferienwohnungen und Hotels eingekehrt sind.
Nach erstem Begutachten meiner Blasen hatte ich mir damals geschworen, derartige Strapazen nie wieder auf mich zu nehmen. Wahnsinnig konsequent bin ich nicht, denn nun stehe ich hier in Georgien. Vor drei Wochen haben wir die Sponsoring-Zusage von der EOFT und adidas Terrex bekommen und seitdem war klar: Ich muss da durch. Ein Rückzieher ist keine Option mehr.
Zwingend erforderlich: Effizient packen
Immerhin: Heli und Yessica greifen mir bei der Orga unter die Arme. Yessica habe ich über eine Freiburger Skimanufaktur kennengelernt, in der sie als passionierte Freeriderin für ihre Masterarbeit an Skikernen geforscht hat. Die gesamte Saison hat sie als Skilehrerin am Arlberg verbracht und die Motivation auf ein Abenteuer in den Bergen war dementsprechend groß. Sie hat zwar noch nie eine Skidurchquerung im Winter unternommen, war aber als Erlebnispädagogin schon öfter in Skandinavien autark unterwegs. Sie weiß also, wo an Gewicht gespart werden muss und was wir benötigen würden.
Mit ihrer Hilfe haben wir zum Start tatsächlich fünf komplette Sets bestehend aus Outerwear-Kombis von Terrex, 80-Liter-Touren-Rucksäcken und Lawinenrucksäcken in Georgien.
Ankunft in Georgien
Am Flughafen in Tiflis nehmen wir vier riesige Duffelbags in Empfang, in denen neben dem eben beschriebenem Stuff auch 30 Kilogramm Trockennahrung, Kamera-Equipment, viel zu viel Kamera-Akkus und Powerbanks gestopft sind. Und auch unsere Latten in zwei Skibags haben es in den Kaukasus geschafft.
Als wir in Georgien anfangen, das gesamte Gepäck auf unsere Rucksäcke aufzuteilen, wird schnell klar, dass wir „etwas“ ausmisten müssen. Die letzten Vorbereitungen für unser Projekt treffen wir in Gudauri.
Heli ist im größten Skigebiet Georgiens schon seit vier Wochen am Skifahren, oft zusammen mit zwei weiteren Gefährten unseres Projekts, denn Eva und Levi sind bereits seit Jahren für die Wintersaison als Skilehrer in dem Resort unterwegs.
Eva wird unser Projekt analog auf Kamera festhalten. Und Levi hat immer Energie für zwei übrig, eine praktische Eigenschaft für das, was wir uns vorgenommen haben. Denn ich habe schon jetzt die Befürchtung, dass ich für das, was wir geplant haben, ein bisschen zu unfit sein könnte.
Eine kleine aber schnuckelige Hütte in Georgien
Während wir in unserer kleinen, aber schnuckeligen Hütte unsere Duffels ausräumen und beginnen, Gepäck auf die Rucksäcke zu verteilen, wird mir das erste Mal so richtig bewusst, wie neu das hier für uns alle ist.
Normalerweise wird bei solchen Durchquerungen ein Großteil des Gepäcks auf großen Pulkas hinter sich hergezogen. Das funktioniert jedoch nur im flachen Gelände. Sobald die Hänge über 20° steil werden – und davon werden wir reichlich haben –, kommt dieses sehr energiesparende Konzept an seine Grenzen.
Das heißt für uns: Alles Gepäck für zehn Tage muss also in die großen Rucksäcke passen.
Ich frage mich schon jetzt, wie das klappen soll. Schnell muss ich feststellen, dass ein Großteil meines Kamera-Equipments wohl oder übel zurückbleiben muss. Nur an Stromquellen dürfen wir nicht sparen. Für den Film wäre es eine absolute Katastrophe, nach Tag fünf nichts mehr festhalten zu können.
Um auf Nummer sicher zu gehen, packe ich alles an Energie- und Speicherträgern ein, was ich mitgebracht habe, und spare dafür an anderen Ecken, wo nur möglich. Denn irgendwo müssen die 16 Powerbanks, 24 Kamera-Akkus und über 100 Speicherkarten Platz finden – zusätzlich zu meinem Schlafsack, meiner Isomatte, Trockenessen für zehn Tage, Lawinenrucksack, LVS-Gear und Bekleidung für kalt bis warm.
Tückisch: die ortstypischen Besonderheiten
Überfordert bin ich dazu von der Flut an ortstypischen Besonderheiten. Denn neben der filmischen Herausforderung darf ich bei der Planung schnell feststellen, dass in Georgien einiges ein bisschen anders läuft. Die Mentalität ist deutlich gelassener. Dinge passieren, aber zu einem nicht definierten Zeitpunkt. Für mich heißt das, zu vertrauen und zu hoffen, dass schon alles klappen wird.
Nervenaufreibend unter dem Aspekt, dass einige Basic Steps tatsächlich umgesetzt werden müssen, damit wir unsere Durchquerung überhaupt erst beginnen können. Zum Beispiel unser Transfer nach Ghebi in der Region Racha, wo wir starten wollen, eine eigentlich kurze Strecke von 330 Kilometern, die jedoch aufgrund der Straßenverhältnisse schnell an die zehn Stunden dauern kann. Unser Taxifahrer kann uns zudem nur bis Oni, dem nächstgrößeren Ort, fahren.
Wie wir von dort weiterkommen, kann im Moment niemand sagen.
Denn ab dort führt eine Schotterpiste nach Ghebi, die nur mit Geländewagen passierbar ist.
Inzwischen ist unser Taxifahrer Irakli in Gudauri angekommen. Der kleine Berg aus Rucksäcken, Boots, Skiern und Splitboards wandert nach und nach ins Auto. Und wieder einmal bin ich überrascht, dass doch alles inklusive uns fünf seinen Platz findet. Ich hoffe einfach, dass wir alles Nötige dabeihaben.
Die Reise durch Georgien geht los – mit Verzögerung
Fast komplett treten wir so unsere Reise an. Nur Zura, ein Local und Freund aus der Region Mestia, fehlt noch. Er wird uns in Oni treffen. Sowohl das Treffen als auch der Transfer nach Ghebi funktionieren tatsächlich. Klar, alles ein paar Stunden später als geplant, aber das soll hier mal nebensächlich sein. Ich habe mich allmählich auch in das Filmen eingefunden und blicke so langsam mit ein bisschen Zuversicht auf die nächsten Tage. Vielleicht funktionieren manche Sachen ja auch einfach mal einfach…
Nun ja, fast. Beim Ausräumen muss ich leider feststellen, dass meine Boots nicht auf unserem finalen Materialhaufen gelandet sind. Nachdem ich noch zweimal vergeblich in unseren Autos nachgeschaut habe, muss ich mir eingestehen, dass wir wohl nicht wie geplant morgen früh aufbrechen werden. Improvisieren ist mal wieder angesagt. Mir wird flau bei dem Gedanken, dass ausgerechnet ich nun unser Vorhaben scheitern lasse, bevor es überhaupt angefangen hat.
Unsere Rettung ist am Ende wieder einmal das, was ich so sehr an Georgien schätze. Probleme werden schnell im Kollektiv gelöst. Ein paar Anrufe später steht der Plan: Die Schuhe werden über einen Freund aus Gudauri und eine Marschrutka – also einen der privaten Linienbusse, die Menschen in Georgien von A nach B bringen – zu uns geschickt. Morgen Mittag sollen die Schuhe bei uns ankommen und wir können mit einem Tag Verspätung los. Die Erleichterung ist mir deutlich anzusehen!
Nach dem Aufbruchsstress der letzten paar Tage tut es allen gut, noch einmal durchatmen zu können und sich auf die anstrengenden Etappen in den Bergen vorzubereiten. Wenn wir ehrlich zu uns sind, haben wir diesen Tag alle gebraucht.
Pferde und epische Ausblicke
Zwei Tage später beladen wir vor unserer Unterkunft gemeinsam mit den Dorfbewohnern sechs Pferde mit unserem Gepäck. Ohne die Pferde müssten wir die ersten 15 Kilometer talaufwärts mit den Skiern auf dem Rucksack laufen, denn aufgrund des mageren Winters liegt dort viel weniger Schnee als sonst um diese Jahreszeit. So sparen wir unsere Kräfte für die nächsten Etappen. Uns stehen schließlich noch 50 Kilometer und über 4.000 Höhenmeter bevor, die Aufstiege zu den geplanten Gipfeln nicht eingerechnet.
Ein fast schon episches Bild bietet sich, als unsere Karawane in Richtung der schneebedeckten Gipfel aufbricht. Ich fühle mich so präsent wie schon seit Wochen nicht mehr und bin gespannt, was uns hinter der nächsten Talbiegung erwartet. Ich freue mich auf die Wände, deren Größe wir bisher nur auf der Karte erahnen konnten, und ebenso darauf, meine Teamkollegen endlich richtig kennenzulernen. Mein Motto für die nächsten Tage lautet: „Adaptieren und improvisieren – das wird schon irgendwie“ – ein Motto, das uns während der Durchquerung konstant begleiten wird.
Ebenso wie die beiden Straßenhunde, die uns aus dem Dorf gefolgt sind und seitdem nicht von der Seite weichen. Wahrscheinlich ist es bei uns interessanter als im Dorf. Wir taufen sie Geronimo und Eugen. Schnell werden die beiden zu unseren unerwünschten, aber doch lieb gewonnenen Maskottchen, auch wenn sie erbärmlich stinken.
Große Anstrengung, große Belohnung
Schon nach wenigen Kilometern der ersten Etappe musste ich feststellen, dass jeder Schritt anstrengender wird, aber selbst das Stehenbleiben keine Erholung mit sich bringt. Genauso wenig wie Hinsetzen, denn alleine komme ich nicht mehr auf die Beine. Und trotzdem geht’s irgendwie immer weiter. Muss ja auch.
Wir helfen uns in der Gruppe, wo es nur geht, und mir wird viel an Equipment abgenommen. Mehr schlecht als recht überstehe ich so die ersten zwei Tage, während ich gleichzeitig versuche, so viel wie möglich zu filmen.
Immerhin werden die Strapazen am dritten Tag dann auch belohnt. Im Licht der aufgehenden Sonne sehe ich zum ersten Mal eine scharfe Spine Wall, die perfekter nicht daherkommen könnte. Der Anblick wird nur noch getoppt von der Abfahrt, die sich trotz 20 Zentimetern „dust on crust“ traumhaft surfen lässt und uns alle mit neuer Energie für die nächsten Tage versorgt.
Eine schmerzhafte Entscheidung
Die werden wir auch brauchen, da ab jetzt Laufen angesagt ist. Eine Schlechtwetterfront ist für übermorgen angekündigt und zwei Tage später müssen wir dann eine harte Entscheidung treffen: Die skitechnischen Hauptziele des Projekts, die 4.000er an der russischen Grenze, müssen bis zum nächsten Besuch warten. Das Wetter ist zu schlecht angesagt und es wäre schade, wenn wir so kurz vor dem Ziel in einem Schneesturm stecken bleiben würden.
Deswegen beginnen wir an Tag sechs bereits unsere Ziel-Etappe. Für die letzten zehn Kilometer und 900 Höhenmeter quälen wir uns in abwechselnd dichtem Schneefall und praller Sonne über den letzten Pass nach Uschguli. Bei mir wäre auch kein Meter mehr gegangen.
Zurück in der Zivilisation – und nun?
Ein Freund von Zura holt uns am Dorfeingang ab und nimmt uns direkt mit in die Ski-Bar. Wir sitzen auf unseren Hockern und nippen an unseren Bieren, während die Gedanken noch bei den letzten sechs Tagen sind.
Obwohl ich mir die letzten Tage oft gewünscht habe, dass wir endlich ankommen, möchte ich gerade nur noch zurück in die Wildnis. Zudem werde ich das Gefühl nicht los, dass wir nicht „fertig“ geworden sind.
Zurück in Tiflis ist einer meiner ersten Gedanken, dass aus dem Material wohl kein klassischer Skifilm werden wird. Aber das muss vielleicht auch gar nicht passieren.
Kurzerhand kremple ich das Drehbuch auf links und es kommt ein ehrlicher Dokumentarfilm heraus. Eine Erzählung mit Augenzwinkern über die Abenteuer, die wir gemeinsam da draußen erlebt haben.
Diese Story erschien ursprünglich in der PRIME Skiing Printausgabe #42.