Im Independent-Skifilmprojekt „Projection“ erkunden die Latschenkillerkrew and Friends die Architektur und Infrastruktur verlassener Skigebiete sowie die Landschaften, in denen sie zurückgelassen wurden. Auf ihrer Reise entdecken sie die eigene Ästhetik dieser Orte und setzen dem Vergessen ein Ende. Die Projektion einer schneelosen Zukunft?
Die vergessene Ästhetik verlassener Skigebiete
Wir kreuzen ein flaches Tal und bewegen uns über den windgepressten Altschnee auf eine Reihe alter Seilbahnstützen zu, auf riesigen Betonfundamenten vor sich hin rostend und ihrer Aufgabe entledigt. Die leeren Rollenbatterien sind ein ungewohnter Anblick. Sie hätten beinahe den Anschein eines vorübergehenden Zustands wecken können, schienen hoffnungsvoll zu beteuern, jederzeit wieder einsatzbereit zu sein. Warum sonst hätte man sie hier stehen gelassen?
Die Reise: Erkundung verlassener Orte
Nach einigen zurückgelegten Höhenmetern liegt vor uns eine umgestürzte Liftstütze in der Landschaft. Beinahe andächtig legen wir eine Pause ein. Eingehend wird der eingeknickte Fuß des Stahlkolosses inspiziert. Vor meinem inneren Auge kontrastiere ich die dystopische Szene, die sich uns bietet, mit dem allzu bekannten Bild einer vollen Talabfahrt. Ich mutmaße, wo genau die Piste verlief, versuche in dieser Einsamkeit, mir den Trubel vorzustellen, der diesen Ort vor einigen Jahrzehnten beherrscht haben muss.
Die Architektur des Verfalls
Hier, in den Ruinen des alpinen Wintersports, erahnen wir eine Schnittstelle, einen gemeinsamen Nenner zwischen dem Vergangenen und dem Zukünftigen. Diese Orte scheinen irgendwie zwischen den Zeiten festzustecken. Sie konservieren die Vergangenheit und offenbaren dabei gleichzeitig ihre Vergänglichkeit. Inmitten des fortlaufenden Zeitgeschehens verblassen solche Artefakte und Orte allmählich, verschwinden und geraten so langsam in Vergessenheit. Unser zentrales Anliegen bei diesem Projekt ist es, die einzigartige Ästhetik dieser Orte zu zeigen, die Eindrücke zu verarbeiten und bewusst dem Prozess der Vergänglichkeit entgegenzuwirken.
Mein Blick richtet sich auf die ursprünglich grün-gelb gestrichene Liftanlage, die von einem rotbraunen Rostschleier eingenommen wird. Der Rost als stiller Chronist jahrelanger Inaktivität verweist unverkennbar auf den Stillstand. Vor dem Fenster mit dem verblassten Schild „Biglietteria“ („Ticketschalter“) scheint es, als stünde die Zeit still. Innehaltend stelle ich mir vor, wie jedes Ticket den Beginn eines winterlichen Abenteuers markierte. Dieser Ort gibt nur noch wenigen Menschen einen leisen Verweis auf die vergangenen Momente.
Im Inneren des Schalters verdeckt ein Teppich aus vergilbten Broschüren, Aufklebern und aufgequollenen Ticketbündeln wie ein Mosaik den darunter liegenden Boden. Mein Blick wendet sich einem dahinrostenden Ski zu, dessen Belag nahezu komplett abgelöst danebenliegt. Der Zeit überlassen klemmt ein Skischuh darunter. Ein Sammelsurium an Erinnerungen bedeckt von Staub und Verfall.
Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Wintersport
Mit 222 rund 45 Prozent der Skigebiete und Tallifte in der Schweiz mussten bereits schließen, sagt Professor Christoph Schuck, der sich mit seinem Team an der Technischen Universität Dortmund mit verlassenen Skigebieten beschäftigt. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schweiz mehr verwaiste Skigebietsinfrastruktur hat als andere Alpenländer“, hält Schuck fest.
Nach weiteren Recherchen kommen wir auf eine Anzahl von über 600 geschlossenen Skigebieten im Alpenraum. Eine ernüchternde Zahl, die eindrucksvoll einen Wandel bezeugt. Die Wissenschaft bestätigt weitreichende und rasche Veränderungen in der Atmosphäre, den Ozeanen, der Kryosphäre und der Biosphäre. Die vom Menschen verursachte Klimakrise wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. Vor allem im globalen Süden häufen sich Dürreperioden, Hitzewellen und Extremwetterereignisse.
Man denke nur an die lebensbedrohlichen 50 Grad Celsius in Pakistan und Indien oder auch in Mexiko im letzten Sommer. Doch auch der globale Norden bleibt von den Auswirkungen nicht verschont. Im Ahrtal ließen im Juli 2021 insgesamt 189 Menschen ihr Leben, 17.000 Menschen verloren dabei ihr Eigentum. Was in den Medien oft Jahrhunderthochwasser genannt wird, sind in Wahrheit bereits jetzt spürbare Auswirkungen eines menschenveränderten Klimas.
Die Zukunft des Wintersports: Herausforderungen und Lösungen
Die International Cryosphere Climate Initiative zieht ihre zuletzt erschiene Publikation „State of the Cryosphere 2023 – Two Degrees Is Too High” ein ernüchterndes Resümee über die Kryosphäre. Die Kryosphäre umfasst alle Teile der Erde, die aus gefrorenem Wasser bestehen, darunter Gletscher, Schnee, Eisberge, Eiskappen, Permafrost und Meereis.
Die heutige Erwärmung von 1,1 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit führt bereits zu einem massiven Rückgang des arktischen und antarktischen Meereises und zu einem Verlust von Gletschereis in allen Regionen der Erde. Laut dem neuesten Bericht vom Kryosphären Monitoring Österreich war der Winter 2021/22 ein Jahr der Extreme. Im Durchschnitt verzeichnen die Gletscher in Österreich ein Minus von 3,2 Metern Eishöhe. Das ist fast dreimal so viel wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Von den letzten zehn Jahren finden sich sieben unten den wärmsten Jahren in Österreich seit Beginn der Messung im Jahr 1767, im Jahr 2022 betrug die Durchschnittstemperatur 8,1 °C.
Sollten die CO2-Emissionen in der Atmosphäre weiterhin mit dem heutigen Tempo ansteigen, werden die globalen Temperaturen bis zum Ende dieses Jahrhunderts mindestens eine Zunahme um drei Grad Celsius erreichen. Selbst eine Erwärmung um zwei Grad wird zu einem weitreichenden, langfristigen und irreversiblen Eisverlust führen begleitet von einer erheblichen Abnahme der Schneedecke.
Diverse Studien weisen auf den alarmierenden Fakt hin, dass sich Schneefallgrenzen in den alpinen Räumen zunehmend schneller in höhere Lagen zurückziehen. Das bedeutet, dass in immer höheren Lagen Temperaturen über dem Gefrierpunkt zu erwarten sind. In niedrigeren Höhen und Breitengraden wird Schnee seltener oder überhaupt nicht mehr fallen und die Winterzeit verkürzt sich.
Wintersportler erleben schon seit Jahrzehnten einen starken Schneerückgang und verschobene beziehungsweise kürzere Winter. Prognosen bestätigen einen enormen Gletscherverlust bis zum Jahr 2100 einschließlich eines vollständigen oder nahezu vollständigen Verlusts von Gletschern in mittleren und niedrigen Breitengraden in einem Szenario mit hohen Emissionen (Erderwärmung über 3 °C).
Während ich über den schneeverblasenen Grat auf 2.797 Metern gehe, blicke ich in den Nordwesthang hinein. Mitte Februar 2022 ist dieser mit etwa 20 bis 30 Zentimetern Schnee bedeckt, was einen Rekordtief in dieser Höhenlage markiert. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung bestätigt, dass seit Beginn der Aufzeichnungen Ende Februar zuvor noch nie so wenig Schnee in dieser Jahreszeit gemessen wurde.
Mir drängt sich die Frage auf, wie zukunftsfähig der Wintersport und generell unsere Lebensweisen sind. Klar ist, dass der Wintersport per se nicht nachhaltig ist und es auch nie sein wird.
Schnelle und zielführende Umstellungen in allen Sektoren (Transport, Energie, Industrie) und Systemen sind notwendig, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Ein positiver Ausblick auf unsere Zukunft ist nur möglich, wenn Politik und Wirtschaft sinnvolle, durchdachte und nachhaltige Lösungen konzipieren und umsetzen. Auch im Wintersport lassen sich konstruktive Lösungsansätze für einen nachhaltigeren Umgang mit unserer Natur und den aktuellen Gegebenheiten umsetzen.
Nachhaltigkeit im Wintersport: Alternativen und Initiativen
Den Beginn der Wintersaison an veränderte klimatische Bedingungen anzupassen wäre ein erstes Zugeständnis, sich nicht gegen die Veränderung der Natur zu stellen, sondern sich an diese anzupassen. Aufgrund der ausbleibenden künstlichen Beschneiung könnte einiges an Wasser und Energie eingespart werden.
Des Weiteren sind Nachhaltigkeitsberichte und eigenständiges Umrüsten auf erneuerbare Energien weitere erste wichtige Schritte für Seilbahnbetreiber. Zudem sollte man im Jahr 2024 auf obsolete neue Liftprojekte – ja, sogar in Gletschergebieten – verzichten. Die „neuen Ausbaupläne im Pitztal sind zynisch“, schimpft der Deutsche Alpenverein in einer ersten Stellungnahme.
Die Klimaschutzorganisation Protect Our Winters wendet sich mit der Petition „Try Harder, FIS“ an den internationalen Skiverband und fordert die zügige Umsetzung einer zielgerichteten Nachhaltigkeitsstrategie einschließlich eines Fahrplans zur Reduzierung der Emissionen um 50 Prozent bis 2030. Des Weiteren werden ein transparenter Nachhaltigkeitsbericht der FIS und eine Anpassung des Wettkampfkalenders gefordert.
Wenn Rennen im Oktober stattfinden, „sind wir fast gezwungen, vorher fürs Training in die südliche Hemisphäre zu gehen, wo wir jahrelang nicht mehr waren“, merkt auch der ÖSV-General Scherer an. Außerdem sollten die Skiverbände ihren politischen Einfluss nutzen, um sich auf Regierungsebene für Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen.
Alternative Tourismuskonzepte wie Slow Travel oder ein nachhaltiger Tourismus erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Die Reisephilosophie Slow Travel zielt darauf ab, bewusst und nachhaltig zu reisen, und richtet den Fokus auf lokale Erfahrungen und die Entdeckung von Kulturen, anstatt sich auf schnelle Fortbewegung und oberflächliche Sightseeing-Touren zu konzentrieren.
Nachhaltiger Tourismus beschreibt das Gegenteil von Massentourismus und strebt danach, Umweltauswirkungen zu minimieren, soziale Verantwortung zu fördern und Lokalwirtschaft zu stärken, um ein langfristiges Gleichgewicht zwischen touristischer Entwicklung und Umweltschutz zu schaffen.
Die individuelle Anreise in Wintersportregionen macht über 50 Prozent der CO2-Emissionen im Wintertourismus aus, daher sollten Individuen auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen. Wintertourismus in Österreich ist für ungefähr fünf Prozent der gesamten Emissionen des Landes verantwortlich.
Der Film „Projection“: Eine dystopische Vision
Der Film zum Artikel: Projection: Skiing Lost Resort In The Alps
Unser Film „Projection“ beginnt mit einem Gedicht von Vincent Devens, in dem das erzählende Ich über die abenteuerlichen Berichte der letzten Skifahrer reflektiert – es spricht dabei über eine Generation aus einer fernen Zukunft, die bereits seit Langem keinen Schnee mehr kennt.
Die wenigen Zeilen am Anfang des Films skizzieren für uns eine dystopische Zukunft, die für uns alle bei gleichbleibendem Kurs zur realen Lebenswelt wird. Die traurige, aber realistische Situation, dass Personen nur noch aus Erzählungen erfahren können, wie es sich angefühlt haben muss, diese mächtigen, von Schnee bedeckten Felsstrukturen hinunterzugleiten, betont die Ernsthaftigkeit unserer globalen Krise. Der Film selbst ist eingebettet in das Narrativ des Intros und ein abschließendes Statement, das die zunehmende Unausweichlichkeit dieser Perspektive verdeutlicht.
Zunächst überlegten wir, ob das nicht zu pessimistisch sei, kamen jedoch zu dem Schluss: Nein, es ist realistisch. Wir können und müssen den Zuschauern diesen resoluten Tonfall zumuten.
Eine Projektion in die Zukunft
Diese vergessenen und verlassenen Skigebiete sind mehr als nur leere Gebäude und verrostete Skilifte. Für uns war es die magische Erfahrung, diese Orte auf eine sehr besondere Art und Weise zu erkunden. Letztendlich haben wir erkannt, dass sich unsere Welt ständig verändert, aber auch, dass wir die Macht haben, unsere Lebensweisen und Stimmen gemeinsam zu nutzen, um diesen notwendigen Wandel zu gestalten und zu beeinflussen.
Diese Plätze sind für uns eine Erinnerung an die Vergangenheit und eine Projektion zugleich. Eine Reise in die Vergangenheit wird zu einer Reise in die Zukunft, zu einer Reflexion über das, was war und was sein wird.