Dennis „D-Ran“ Ranalters Weg zu einem der bekanntesten Freeskier verlief nicht ohne Hindernisse. Nach der Veröffentlichung seiner Doku „Descendance“ haben wir uns mit dem 29-jährigen Tiroler zusammengesetzt, um mit ihm über deren Produktion zu sprechen, darüber, wie therapeutisch der Prozess des Erzählens seiner Geschichte war, und über seine Reise nach Ghana.
Die Inspiration hinter dem Film „Descendance“
Hallo Dennis, erst einmal möchte ich dir und der Crew von Legs of Steel zu eurer wirklich gelungenen Produktion gratulieren! „Descendance“ ist seit Langem wieder einmal ein Video mit einem intimen Einblick in das Leben eines Pros und kommt mit einer klaren Message daher. Was hat dich letztlich zu diesem mutigen Projekt und zu dieser persönlichen Reise bewegt?
Vielen Dank! Ich hatte tatsächlich schon länger mit dem Gedanken gespielt, ein Projekt zu verwirklichen, das einen Mehrwert bietet und eine persönliche Aussage beinhaltet, die länger Bestand haben sollte als „gewöhnliche“ Freeski-Videos. Natürlich sind diese eher actionbasierten Movies wichtig für die Szene, aber es gibt schon unglaublich viele davon – und extrem gute dazu.
Ich wollte zeigen, dass zum Skifahren als Profi auch individuelle Lebensweisen gehören und manchmal der Sport an sich nicht das Wichtigste im Leben ist. Mit der Produktion wollte ich mich besonders an Jugendliche richten, die in ihrem Leben womöglich ähnliche Erfahrungen in Bezug auf ihre Hautfarbe machen mussten wie ich. Ich hatte das Gefühl, weder ein Österreicher noch ein Ghanaer zu sein, sodass ich mich fragte: „Was bin ich dann?“ Für diese Frage musste ich eine Antwort finden.
Wenn ich zurückblicke und mich als Teenager sehe, wenn es da jemanden gegeben hätte, der das getan hätte, was ich tat, aber auch so ausgesehen hätte wie ich, dann hätte ich womöglich ein anderes Selbstwertgefühl entwickelt.
Ich wollte „Descendance“ für Kids machen, die Angst haben, nicht dazuzugehören, und sich nicht willkommen fühlen, weil sie anders aussehen. Das ist traurig, weil man so viel Vielfalt und Größe verliert. Es ist wirklich wichtig, mehr Menschen für die Dinge zu begeistern, die sie gerne tun möchten. Sport ist für alle da und jeder darf an allem teilhaben.
Herausforderungen und Rassismus im Stubaital
Hier in München gehört Diversität zum gängigen Stadtbild. In der Großstadt sind alle Nationalitäten, Hautfarben, Ethnien und sexuelle Orientierungen vertreten. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das Stubaital nicht so divers war.
Ich bin im Stubaital als einziger Schwarzer aufgewachsen. Ich erinnere mich noch schmerzlich daran, wie mich ein älterer Typ aus der Gondel des Skilifts geworfen hat. Für einen 13-Jährigen ist es ziemlich hart, so etwas zu erleben! Ein anderes Mal wurde ich auf der Straße rassistisch beschimpft. Das war mitten in der Stadt. Und das Schlimmste daran war, dass niemand der Passanten etwas dagegen unternahm.
Rückblickend ist es schockierend zu sehen, wie ein Kind so eine schwere Zeit durchmachen musste und niemand da war, um zu helfen.
Unterstützung und Motivation durch Freunde
Wie bist du mit diesen üblen Situationen umgegangen? Jemand, der so was noch nicht am eigenen Leib erlebt hat, kann sich das wohl nur schwer vorstellen.
Manchmal wollte ich nicht Ski fahren, weil ich Angst vor den Reaktionen der anderen hatte. Aber ich bin sehr dankbar für die Unterstützung meiner Freunde in dieser Zeit! Denn ich glaube nicht, dass ich es allein geschafft hätte. Ich habe meine Wut irgendwie in Motivation kanalisiert und so eine Art Therapie für mich gefunden.
Wer sagt denn, dass jemand aus Afrika nicht der beste Skifahrer sein kann? Oder jemand aus Alaska der beste Fußballer? Niemand sollte seine Träume wegen der Ignoranz anderer sterben lassen. Es ist besser, es zu versuchen, als es nicht zu tun, nur weil jemand gesagt hat, dass man es nicht könnte.
Der richtige Zeitpunkt für „Descendance“
Wieso war genau jetzt für dich der richtige Zeitpunkt, um deine Erfahrungen als schwarzer Sportler in einen Film zu packen?
Natürlich spüren die meisten Leute, die sich in ihrer Hautfarbe, Herkunft, Sexualität oder ihrem kulturellen Hintergrund von der Allgemeinheit unterscheiden, schon früh in ihrem Leben, dass sie anders sind. Damit aber offen umzugehen hat sicherlich viel mit Reife und Offenheit zu tun. Ich musste also erst erwachsener werden und mir selbst darüber klar werden, wer ich eigentlich bin.
Ich glaube, dass ich noch vor fünf Jahren für die Erfahrungen durch den Trip nach Ghana einfach noch nicht bereit gewesen wäre. Genauso wenig hätte ich mir vorstellen können, dass ich überhaupt der richtige Typ dafür wäre, so einen persönlichen Film zu produzieren, um Jugendliche zu inspirieren.
Vielleicht liegt es speziell beim Skifahren auch an der Tatsache, dass es im Vergleich zum Fußball, Basketball oder zur Leichtathletik in unserem Sport so wenige schwarze Sportler gibt und diese dann als absolute „Exoten“ noch auffälliger sind.
Das ist sicherlich so. Schwarze gehören in besagten Sportarten zum gängigen Bild und Marken werben ganz selbstverständlich mit ihnen. Im Wintersport fehlt meines Erachtens diese Diversität, denn wir sehen eigentlich immer nur den gleichen Typ Mensch: weiße Europäer, weiße Nordamerikaner… Und genau das ist das Problem. Wie kann ich einen schwarzen Jugendlichen ermutigen, sich auf Skier zu stellen, wenn er sich nicht vertreten fühlt und allein ist mit seiner Andersartigkeit?
Die Rolle von The North Face und die persönliche Bedeutung des Projekts
Da du das Thema Marken angesprochen hast: Wie war The North Face eigentlich mit deinem Projekt verbunden?
Das war in meiner allerersten Saison als Teamrider für The North Face und jeder Athlet bekam die Chance, sich über den normalen Vertrag hinaus zusätzlich um finanzielle Unterstützung für spezielle Projekte zu bewerben. Der Claim „Never Stop Exploring“ sollte dabei berücksichtigt werden. Dieser Slogan bedeutete mir sehr viel, denn ich befand mich bereits auf einer Suche, auf der Suche nach dem eigenen Ich.
Also begann ich, über meine Erfahrungen zu schreiben. „Never Stop Exploring“ bedeutete, meine Familie in Afrika zu treffen und mein kulturelles Erbe kennenzulernen. Nachdem ich alles in den Rechner gehackt und abgeschickt hatte, war es das – erst einmal. Während ich alles aufschrieb, vergaß ich komplett die Bewerbung. Es wurde zu einer Art Therapie für mich. Ich war mit meinen Gedanken so weit weg von diesem Pitch, weil sich so unglaublich großartige Athleten ebenfalls um die Unterstützung ihrer Träume bewarben.
Eines Tages wachte ich um fünf Uhr morgens auf, schaute auf mein Handy und sah die E-Mail mit den Gewinnern des Expeditionsprogramms – und da stand mein Name! Ich schlief wieder ein, und als ich ein paar Stunden später aufwachte, dachte ich, ich hätte es geträumt.
Wie seid ihr an die ganze Geschichte herangegangen? Anders als bei „konventionellen“ Movies stand ja nicht das Riding im Vordergrund, sondern die Suche nach deiner Identität. Das Ergebnis lässt sich ja noch weniger planen als Schneebedingungen bei Ski-Trips.
Du hast schon recht. Aber irgendwie hat sich während des gesamten Prozesses alles immer richtig angefühlt. Ich hatte niemals das Gefühl, dass sich die Geschichte in eine komplett falsche Richtung entwickeln würde. Um ehrlich zu sein, kam es mir auch nie wie ein intimes Filmprojekt vor.
Zu Beginn standen ja die Shootings im Schnee an und die haben sich nicht von meinen bisherigen Produktionen unterschieden, bei denen die Action im Vordergrund stand. Erst beim Interview mit Phil Young, dem Gründer von Outsiders Project, hat „Descendance“ dann eine andere Richtung genommen. Weil ich da aber mehr oder weniger nur mit mir beschäftigt war und ich keine Rolle spielen musste, war kein Platz für negative Gedanken oder einen Plan B. Wir haben uns tatsächlich nicht überlegt, wo die Reise im ungünstigsten Fall enden würde.
Die Reise nach Ghana und ihre Bedeutung
Kern von „Descendance“ ist deine Reise zu deinen Wurzeln nach Accra. Welche Erwartungen hattest du an diese emotionale Erfahrung? Hattest du Schiss, womöglich feststellen zu müssen, in keiner der beiden Welten zu Hause zu sein? Und wie reagierten deine Eltern, als du ihnen von deinen Plänen erzählt hast?
Ich hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu meinem Vater in Ghana. Als ich mein Exposé für The North Face schrieb, wusste ich nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Also habe ich ihn kontaktiert und nach Details gefragt: woher meine Großeltern stammen, wie die Gegend aussehen würde und dass wir vielleicht im Sommer zum Drehen nach Ghana reisen würden. Das brachte mich wieder mit meinem Vater zusammen und ich fragte ihn, ob er Lust hätte, mit mir zu kommen und unsere Familie in Ghana zu besuchen.
Mein Vater hat mich über all die Jahre nie gedrängt, ihn zu besuchen. Er wusste, dass ich meine Zeit benötigen würde und irgendwann für diesen Schritt bereit wäre. Und dieser war jetzt eben gekommen. Als es dann so weit war, war ich so nervös, dass ich nicht wusste, was passieren würde. Aber als ich das erste Mal in meinem Leben in Ghana gelandet bin, hat sich alles geändert.
Normalerweise fühlt man sich, wenn man verreist, wie im Urlaub. Als ich aus dem Flugzeug in Accra stieg, fühlte ich mich aber wie zu Hause. Es war, als ob ich schon einmal dort gewesen wäre. Dieses Gefühl kann ich nicht beschreiben. Das erste Treffen mit meiner Großmutter war ein ganz besonderes Erlebnis für mich und es war einer der schönsten Tage in meinem Leben.
War das der Moment, in dem für dich klar wurde, dass du genau das Richtige getan hattest?
Das stimmt. Dieser Moment, als ich zurück zu meinen Wurzeln gereist bin, war schon extrem tiefgründig und die Reise wohl die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens. Ich habe meinen Vater seit langer Zeit wieder einmal getroffen und meine Großmutter überhaupt zum ersten Mal kennengelernt.
Und dann siehst du auch noch auf Bildern, dass dir dein Opa in seiner Jugend zum Verwechseln ähnlich sah. Das war schon heftig. Das Movie-Projekt hat mir jedenfalls eine zweite Familie geschenkt. Jetzt habe ich zwei – eine in Österreich und eine in Ghana.
Veränderungen und Erkenntnisse nach der Reise und dem Film „Descendance“
Was hat sich persönlich seit diesem Trip und „Descendance“ in deinem Leben verändert?
Ich habe gelernt, einfach stolz zu sein auf das, was ich tue, und an mich selbst zu glauben. Zu erkennen, dass man nicht an einen Punkt kommen sollte, an dem man von jemandem daran gehindert wird, das zu tun, was man mag. Man sollte die Meinung anderer Leute nicht höher bewerten als die eigene – und es ist auch gut zu wissen, wer man ist und woher man kommt!
Hat sich die Doku eigentlich auch auf dein Riding ausgewirkt? Gibt es so etwas wie einen „D-Ran 2.0“?
Tatsächlich. Ich bin supermotiviert, neue Sachen auszuprobieren und mich mehr aus meiner bisherigen Komfortzone zu bewegen. Ich bin jetzt stolz darauf, außerhalb der Norm zu sein, und möchte das auch in meinem Riding ausleben. Vielleicht könnte ich es so beschreiben, dass ich den Dingen freien Lauf lassen will, damit sie sich entwickeln können.
Ich glaube, dass man dann letztlich dort landet, wo man eigentlich sein sollte. Das wird sich dann gewiss auch in zukünftigen Videos widerspiegeln. Ich fahre da wieder zweigleisig und gehe diesen Winter sicherlich wieder mit MSP shooten, möchte aber parallel auch eigene Projekte verwirklichen.
„Descendance“ – Der Film zum Interview in voller Länge
„Dennis Ranalter is one of the world’s most respected freeride skiers, his playful style and technical ability earning him a wide fan base and the widely used moniker: D-RAN.
Yet away from a name that showcases his self-assurance on the steep slopes of Austria, Dennis’s struggles with identity run deep. At its heart, the question of race and what it means to be black in a sport that remains predominantly and conspicuously white.
Descendance is Dennis’s story, a personal journey of self-exploration that examines his relationship with his own skin colour, with those closest to him and all those who share his love of skiing.
It’s a journey that takes him from his home valley in Austria to Accra, the capital of Ghana, shining a light on the power of family along the way.“
Produced by: Legs of Steel
Directed by: Michael Haunschmidt
Co-Directed by: Mathias Kögel
Executive Producer & Content Developer: Phil Young
Principal Cinematography & Editing by: Michael Haunschmidt & Mathias Kögel
Music & Sound Design: Matthias Müller
Color Grading: Manuel Portschy
Art Direction & Animations: Fabian Fuchs