Nach den letzten ergiebigen Dumps hat der Winter hierzulande ja eine Verlängerung spendiert bekommen und wir dürfen noch etwas Powder schlürfen, bevor wir uns wie Henrrik Harlaut in den Norden Skandinaviens verdrücken müssen, um dort Booter in die Botanik zu pflanzen.

Text: Chris Neumann

Nähert man sich diesem Lager, sieht man, dass die Zelte auf Paletten stehen, um dem Schmelzwasser zu entkommen, das den Boden aufweicht. Überall liegen Skier rum und häufen sich an einer Stelle sogar zu einem chaotischen Hügel aus Planken. Abgerundet wird dieses Chaos um die Wohnmobile durch ungewaschene Töpfe und Geschirr, halb zusammengebrochene Campingstühle und einen Outdoor-Gasofen. Der Himmel ist grau und dicke Wolken verbergen das helle Blau – es herrscht das typische Wetter für hier oben. In Katterjokk, so heißt das kleine Camping-Dorf, kann man den Himmel auf Erden erleben, aber auch die Hölle. Zumindest vom Wetter her. Katterjokk ist das nächste Dorf zu dem nördlichsten und gleichzeitig einem der besten Freeride-Gebiete der Welt: Riksgränsen.

“Henrik ist besessen von Skifahren. Wenn sich andere Fahrer hin und wieder mal einen normalen Spielfilm streamen, hängt Henrik immer vor dem Bildschirm und checkt Ski-Edits – ob nun von anderen oder sich selbst.”

Van-Life

Es ist Saisonende und selbst die letzten Saisonkräfte haben das Skigebiet bereits verlassen. Nur noch der harte Kern der Locals ist vor Ort. Trotzdem haben das Restaurant und der Lebensmittelladen einige Tage länger geöffnet, da ganz in der Nähe eine Straßenbaustelle ihren Betrieb nicht aufgeben will und die Arbeiter versorgt werden müssen. Zum Glück! Denn das Restaurant ist die einzige Möglichkeit, sich mal ins Wi-Fi einzuloggen oder auf einer richtigen Couch die Beine lang zu machen – kurzum, dem komprimierten Leben im Van zu entkommen. Da das Wetter sich die letzten Tage nicht gerade von seiner guten Seite zeigte, fand unser Leben zuletzt genau zwischen den zuvor genannten Eckpunkten statt, und Änderung ist nicht in Sicht.

Video: “Be Inspired” Full Movie (2016) mit Henrik Harlaut & Phil Casabon aka B&E

Eine Person mit Dreadlocks, gekleidet in ein rotes Hoodie und lange Unterhosen mit Basketball-Shorts darüber, sitzt an einem der Esstische des Restaurants und lauscht den Beats aus seinen Headphones. Es ist Henrik Harlaut, der sich ein Video anschaut, das ihn mit 13 Jahren beim Skifahren zeigt. Er überprüft den Style, mit dem er damals unterwegs war. Henrik will einfach wissen, wo er damals stand, woher er kommt. Er will sicher-stellen, dass er sich selbst treu geblieben ist. Henrik ist besessen von Skifahren. Wenn sich andere Fahrer hin und wieder mal einen normalen Spielfilm streamen, hängt Henrik immer vor dem Bildschirm und checkt Ski-Edits – ob nun von anderen oder sich selbst. Tut er dies nicht, zockt er „Jibberish“ oder schneidet ein neues Edit. Es geht immer nur um das eine. Henrik schläft und isst, ansonsten dreht sich sein Leben ausschließlich um Skifahren. Daran ändert sich unterwegs nichts, so auch nicht auf diesem Camping-Trip.

Tapetenwechsel

Als sich endlich die Sonne blicken lässt, ist die Stimmung im Camp schlag-artig eine andere. Der blaue Himmel setzt ein klares Zeichen: Es ist Go Time! Das Hochdruckgebiet soll sich einige Tage lang halten und so brechen wir aus unserer Routine aus, lassen die Camper und Wi-Fi-Verbindung zurück. Taschen wer-den gepackt und wir beginnen unsere kleine Expedition. Wer nun denkt, Funktionskleidung und standesgemäßes Touring-Equipment würden das Crew-Bild bestimmen, der liegt falsch. Auch die Verpflegung ist nicht auf Leichtgewicht getrimmt. Schwere Gläser Babynahrung, Konserven mit Armeenahrung und die obligatorischen Paletten Monster Energy werden aufgeladen. So hat jeder seinen Packen auf der gut dreistündigen Tour zu tragen. Fehlendes Equipment soll aber keine Ausrede sein, schließlich würde am Ende der Tour unser eigenes kleines Paradies warten.

Improvisationskunst

Sowieso muss man das Beste aus dem machen, was man hat. Es kommt nicht auf die Klamotten an, deine Ski oder all die anderen Spie-le-rei-en, die unseren Alltag am Berg im modernen „Freeskistan“ versüßen. Hast du kein Split-Board? Kein Problem! Bastel dir doch ein paar Schneeschuhe aus Ästen und Seilen. Lässt dich deine Tourenbindung im Stich? Repariere sie mit Tape. Du hast keinen großen Touren-rucksack? Nimm eben zwei kleine – einen vorne, den anderen auf dem Rücken. Improvisation ist alles!

“Jetzt sind alle wieder vereint, fahren die gleichen Bedingungen, teilen ihr Lager unter dem gleichen Himmel, genießen das Skifahren und die Musik aus der batteriebetriebenen Boombox.”

So sah sie aus, die Zusammenkunft der alten Crew von früher. Es kommt nicht oft vor, dass Henrik die Zeit findet, in die Heimat zu kommen und mit seinen alten Freunden Ski zu fahren. Hier hat er die Chance, mit seinen Kindheitsfreunden aus Åre Zeit zu verbringen, die übrigens eben-falls hochtalentierte Shredder sind, leider jedoch nicht die Sponsoren und Möglichkeiten haben, wie Henrik um die Welt zu reisen. Trotz-dem sind sie jeden Tag draußen beim Skifahren daheim in ihrer Heimatstadt Åre.

Jetzt sind alle wieder vereint, fahren die gleichen Bedingungen, teilen ihr Lager unter dem gleichen Himmel, genießen das Skifahren und die Musik aus der batteriebetriebenen Boombox. Es ist die gleiche Crew, mit der Henrik seine ersten Camping-Erfahrungen sammelte, und nun stapft ebendiese Crew etwas nördlich des Polarkreises durch wildes Gebirge.

Innere Ruhe

Henrik sucht diese Situationen, um wegzukommen von der Zivilisation, der Partyszene und den normalen Skigebieten mit all ihren Einschränkungen. Durch die Wildnis zu „fellen“ und zu campen klart seine Gedanken auf und er besinnt sich auf das Wesentliche. Während andere Leute innere Ruhe beim Meditieren finden, geht Henrik lieber auf eine Skitour, joggen oder zum Training. Im Base Camp war er noch abgelenkt, wenn die Beats oder Gespräche mit seinen Freunden von ihm Besitz ergriffen. Guten Vibes kann man sich eben schlecht entziehen, oder?

Sobald Henrik aber in die Bindung klickt und den Berg hochstapft, findet er den Weg zur inneren Ruhe und zur Meditation. In diesem Moment springt Henrik den anstehenden Kicker schon Hunderte Male in seinem Kopf, landet seine Tricks und malt sich die daraus resultierende Freude aus. Egal ob es nun beim Filmen oder bei Contests ist, Henrik war schon immer gut darin, sich in die Erfolgssituation hineinzuversetzen. Schon seit seiner Kindheit sah er sein Hockeyteam vor dem Spiel siegen oder sich selbst Tricks im Park stompen, bevor es wirklich geschah.

Glaub an Dich

Wenn Henrik dieses mentale Stadium in einem Contest erreichen kann, fühlt er sich unbesiegbar, und bisher gewann er noch jedes Mal in diesem Zustand. Tanner Hall sagte einmal, dass er sich selbst in Henrik erkennen könne, als er selbst jünger war und die Wettkampfszene dominierte. Das hat viel mit dieser Einstellung zu tun, an seinen Erfolg zu glauben und nur die positiven Dinge zu erkennen. Wenn man an sich glaubt, wird der Erfolg einsetzen.

Genau das macht den Unterschied zwischen den Besten und den Allerbesten! Trotz all seiner Erfolge ist Henrik aber auf dem Boden geblieben und ist einer der höflichsten Menschen überhaupt. Er wird sich immer Zeit für dich nehmen, egal wer du bist, solange du nur die gleiche Liebe zum Skifahren teilst und anderen ein Vorbild bist. Falls du ein positiver Mensch bist, hast du Henriks Respekt.

Do It Yourself

Während andere Rider noch in den perfekten Parks der Edel-Resorts trainieren, ist der Schwede längst hier draußen beim Camping und arbeitet an seiner mentalen Stärke. Er verbringt Zeit mit seinen Freunden und beim Skifahren sowie „mentalen Skifahren“, schaufelt seine eigenen Kicker. Immer und immer wieder geht er die Tricks, die er auf ihnen machen will, in Gedanken durch.

Irgendwann entscheidet er dann, für diesen oder jenen Trick einen Versuch zu wagen – eben dann, wenn er fühlt, dass es an der Zeit ist. Mit von Hand geshapten Kickern, getrampelten Inruns und Landungen, die weit weg vom Attribut „perfekt“ sind, bewegt sich Henrik weit außerhalb seiner Komfortzone, die er in Terrain-Parks vorfinden würde. Er muss seine Grenzen pushen, um hier Erfolg zu haben. Es ist wie in den frühen Tagen von Freeskiing, in denen jeder seine Obstacles selbst bauen musste und nur die eigene Kreativität Grenzen setzte. Aus Alt mach Neu, der „Harlaut way“.

“Wenn man so hoch oben im Norden unterwegs ist, hat man einen großen Vorteil. Über dem Polarkreis hat man dank Mitternachtssonne 24 Stunden Tageslicht. Man kann rein theoretisch rund um die Uhr shredden.”

Magic Light & Snack Life

Wenn man so hoch oben im Norden unterwegs ist, hat man einen großen Vorteil. Über dem Polarkreis hat man dank Mitternachtssonne 24 Stunden Tageslicht. Man kann rein theoretisch rund um die Uhr shredden. Außerdem hat man einen Wahnsinns-Sonnenuntergang, der um acht Uhr abends beginnt und um Mitternacht endet. Magic Light für gute vier Stunden! Dieses bestimmt auch den Camp-Alltag. Tagsüber wird gechillt und abends werden die Ski angeschnallt, um im Magic Light Shots einzuheimsen.

Die Zeit im Base Camp lässt dir zwei Optionen: essen oder relaxen! Mit diesen beiden Möglichkeiten schrumpften unsere Vorräte rapide. Daher musste nach gerade mal drei Tagen Nachschub her. Also machten sich einige von uns auf, um den „Supply“ zu besorgen und außerdem die Batterien der Kameras aufzuladen. So gab es ein schnelles Wiedersehen mit dem klei-nen Tante-Emma-Laden und den Wohnmobilen.

Die Besorgungen waren schnell gemacht und so konnten wir uns wieder zeitig auf den Weg zurück zum Base Camp machen. Dort wunderte man sich nicht, dass unsere Essensauswahl eher Snack-orientiert als reichhaltig und gesund ausfiel. Chips, Bier-Sixer und eine riesige Tüte Süßigkeiten fanden ihren Weg über den Polarkreis hinaus. Natürlich durfte die Babynahrung nicht fehlen und außerdem noch massenweise schwedischer Snus.

Henrik selbst allerdings ist ein genügsamer Esser. Ihm reichen Haferflocken mit Früchten und einer Scheibe Brot mit traditionellem schwedischen Streichkäse. Das ist eine seiner absoluten Lieblingsspeisen auf der gesamten Welt.

Leben und lernen

Mit unzähligen Stunden im Backcountry zeigt Henrik ein hohes Maß an Verständnis für den Berg und weiß, wie er sich dort sicher bewegt. Trotzdem ist ihm bewusst, dass er weit davon entfernt ist, ein Experte zu sein. Lieber achtet er auf sein Verhalten und versucht zu lernen. Schritt für Schritt arbeitet er sich in diese Materie ein und will neues Wissen aufsaugen. Sämtliche Aspekte vom Schnee und Wetter bis hin zum Klima und Terrain versucht er zu verstehen und möchte erkennen, wie diese die Sicherheit am Berg beeinflussen.

Während viele Skifahrer sich auf das neueste Equipment verlassen, das leichteste Material kaufen und schaufelweise Trockenfutter in sich reinpressen, versucht der Armada-Rider, Dinge auf traditionelle Weise zu erlernen. Genau wie beim Ski-fahren investiert er viel Zeit in die Sache. Beim Skifahren verschiebt er schließlich auch ständig seine Grenzen, kreiert seinen eigenen Style und individuelle Tricks. Einige davon werdet ihr in seinem neuen Film sehen und eurerseits erkennen, was auf zwei Skiern möglich ist.

Push your Limits

Henrik verschiebt die Grenzen des Möglichen regelmäßig, bleibt dabei aber immer er selbst und steht zu seinen Freunden. Er ist ein wahrer Poet auf den zwei Brettern, die die Welt bedeuten. Style und Flow durchfließen alles, was er tut. Jedes Mal wenn er für einen Trick anfährt, will er ihn noch besser machen als zuvor, auch wenn er ihn schon Hunderte Male gestanden hat. Mit dieser Einstellung kann ein Filmtag schon mal unendlich lang werden. Er will nur das Beste auf Zelluloid bannen.

Auch wenn er einen Trick beim ersten Mal steht, muss jede Gliedmaße in Position sein – die Hand am Ski an der richtigen Stelle, mit genug Druck. Dieses Verhalten zeigt, wie Henrik Talent und Fähigkeiten einschätzt. Talent sei das Ergebnis harter Arbeit, sagt er mir immer. Jeder kann an seinem Talent arbeiten, wenn er nur die richtige Attitüde hat. Und nun sind wir hier alle zusammen – Kindheitsfreunde und olympische Athleten, die gemeinsam um zwei Uhr morgens in den Sonnenaufgang starren.

Eigentlich ist es doch ganz einfach, sich inspirieren zu lassen. Be inspired!

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