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Ural Freeski Train (2/6)

Diese zapfige Einöde im Norden Russ­lands ist eigentlich nur mit dem Flieger zu erreichen, das aber nur ein­mal die Woche, eine Straße von Moskau nach Workuta existiert nicht. Wir weichen also auf die landesty­pi­sche Variante aus: die Bahn! 40 Stunden dau­ert die Fahrt von der Hauptstadt bis zu un­se­rem Freeski-Kühlschrank – und das, ohne ein einziges Mal um­zu­steigen. Zum Glück sind die Abteile deutlich komfortabler als befürchtet und so nut­zen wir die Zeit, um uns auf die kom­menden Tage ­einzustellen. Mathi­as­ und mich ­begleiten Max Kroneck und Neil Willi­man als Rider sowie ­Michi Bernshau­sen und Philipp als Filmer. Neil wird von den mitreisenden Russen wie ein Bewohner des ver­sun­kenen Atlantis gefeiert, als sie erfah­ren, dass er aus „New Zeelandia“ kommen würde.

Draußen eiskalt, drinnen Hitze

Das Essen im Zug kann man fast mit dem beim Fliegen vergleichen – die Grundversorgung ist also schon mal gesichert. Einzig das Klima stellt sich als unangenehmes Problem dar, denn die Fenster lassen sich nicht öffnen. Das allein wäre jetzt keine Meldung wert, doch der Russe scheint umso mehr heizen, je kälter es draußen ist. Bei 30 Grad Celsius und einem voll besetzten Waggon entwickelt sich dann nach Stunden ein interessantes Bouquet, das zudem den letzten verbliebenen Schauerstoff aufzufressen droht.

„Insgesamt haben 39 Millionen Arbeiter in den sowjetischen Gulags ihr Leben lassen müssen.“

Während unserer Fahrt gen Norden wächst die Schneedecke neben den Gleisen stetig an und nach zwei Näch­ten kommen wir halbwegs ausgeschlafen in Workuta an. Das monotone Rattern, wenn die Waggons über die Schienen klackern, wirkt nämlich äußerst einschläfernd, sodass wir trotz der Hitze und des Miefs immer wieder in den Schlaf geschaukelt werden. Schließlich empfängt uns die Stadt nachmittags von ihrer besten Seite: frühlingshafte minus 15 Grad Cel­sius und Sonne.

Dieses Bilder­buch­wet­ter lockt die Menschen hier doch tat­sächlich in kurzen Hosen und Mini­röcken auf die Straße. Und noch et­was unterscheidet diese Welt von un­se­rer westlichen Heimat. Wir erkennen schnell, dass hier keiner Wert auf optisch ansprechende Fassaden von Wohnhäusern zu legen scheint. Überall hat das unwirtliche Klima seine destruktiven Spuren hinterlassen und auf dem mit dickem Eis bedeckten Gehwegen liegen zermahlene Teile des Mauerwerks. Tief eingeschneite Autos, die aussehen, als wären sie seit dem Sommer vergessen worden, warten an der Straße auf ihre Befreiung im Frühling.

Es kommt die Frage auf, was die Menschen in Workuta hält. Es müssen die höheren Löhne und mehr Urlaubstage im Vergleich zum Rest des riesigen Landes sein, die die Bewohner am Wegzug hindern.

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